Immer mehr Infizierte

Die Furcht vor Coronaviren ist da – ist sie nötig?

Täglich wächst die Zahl der Coronavirus-Patienten – das verunsichert viele Menschen. Ärzte warnen vor Panikmache, die Weltgesundheitsorganisation räumt mit Mythen auf.

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Vielerorts tragen Menschen Mundschutz, um sich vor einer Ansteckung zu schützen – wie hier auf dem Petersplatz in Rom.

Vielerorts tragen Menschen Mundschutz, um sich vor einer Ansteckung zu schützen – wie hier auf dem Petersplatz in Rom.

© Evandro Inetti/ZUMA Wire/dpa

Berlin. Das neuartige Coronavirus 2019-nCoV versetzt die Welt in Aufregung. Täglich wächst die Zahl der Infizierten und der Todesfälle.

Wie bedrohlich das Virus für Menschen tatsächlich ist, lässt sich derzeit schwer sagen. Einige Experten verweisen zum Vergleich darauf, wie gefährlich Influenzaviren hierzulande sind: In der Grippe-Saison 2017/2018 gab es in Deutschland 334.000 laborbestätigte Influenza-Fälle, darunter 1674 Todesfälle.

„Ich habe vor der Grippe deutlich mehr Angst – aus Sicht der Gesundheitsbehörden – als vor diesem Virus. Nach allem, was wir wissen, ist der Verlauf in Europa sehr mild“, sagte etwa der Leiter des Gesundheitsamts in Frankfurt am Main, Professor René Gottschalk.

Leere Straßen wirken bedrohlich

Die Tatsache, dass 2019-nCoV neu und noch nicht ausführlich erforscht ist, schürt offenbar dennoch Sorgen und Ängste. „Solange man eben nicht abschließend etwas weiß über ein solches Virus, ist immer größtmögliche Vorsicht angesagt“, sagte Jens Spahn. Der Bundesgesundheitsminister ordnete eine Meldepflicht für das neue Coronavirus an, die für Ärzte in Deutschland seit 1. Februar gilt.

Mit teils drastischen Maßnahmen versuchen derweil andere Staaten, eine weitere Ausbreitung des Erregers zu verhindern: China hat mehrere Städte und rund 45 Millionen Menschen abgeschottet, Nachbarstaaten haben die Grenzen geschlossen. Die Bilder aus den abgeriegelten Metropolen wirken drastisch – und für viele Menschen bedrohlich, wie der Göttinger Angstforscher Professor Borwin Bandelow betonte.

Dass man nur wenig über das Virus wisse und zudem Menschen gestorben seien, begünstige eine hohe Risikowahrnehmung, sagte Professor Michael Siegrist, Experte für Risikowahrnehmung an der ETH Zürich.

Psychologischer Effekt

Der psychologische Effekt durch die Wahrnehmung von Bedrohung sei nicht zu unterschätzten – das gelte auch für Behörden, sagte Professor Sonia Lippke, Gesundheitspsychologin an der Jacobs University Bremen. Die chinesischen Behörden scheinen Lippke zufolge Bedenken zu haben, dass die Bevölkerung das Vertrauen verliert – und dass andere Länder die chinesische Regierung für inkompetent halten.

So komme es zu Maßnahmen, die „in Deutschland nicht üblich wären“. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte die Reaktion Chinas auf das Virus ausdrücklich gelobt.

Situation nicht unter Kontrolle?

Dass täglich die Zahl der Infizierten rapide wächst, verunsichert ebenfalls viele Menschen. „Die Zunahme der Fälle, vor allem in China, wirkt erst einmal so, als ob die Situation nicht unter Kontrolle ist“, erläutert Professor Bernd Salzberger, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Am Montag berichtete die Nationale Gesundheitskommission Chinas, dass mittlerweile bei 17.205 Menschen in der Volksrepublik bestätigt ist, dass sie sich angesteckt haben (siehe nachfolgende Grafik). Zudem gebe es mehr als 20.000 Verdachtsfälle.

An dem Coronavirus, das eine Lungenkrankheit auslösen kann, starben den Angaben zufolge weitere 57 Menschen – insgesamt sind nun 361 Todesfälle verzeichnet.

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Experten erwarten, dass die Zahl der Infizierte und Todesfälle weiter ansteigt. „Wir gehen davon aus, dass der Höhepunkt der Epidemie in zehn Tagen bis zwei Wochen erreicht ist“, sagte der Chef des nationalen Virus-Expertenteams, Zhong Nanshan. Er korrigierte damit seine Vorhersage von vor einer Woche, als er den Höhepunkt für Ende dieser Woche vorhergesagt hatte. Die Sterblichkeitsrate bezifferte er auf 2,4 bis 2,5 Prozent.

Weltweit sind rund 180 Erkrankungen durch das Virus in zwei Dutzend anderen Ländern bestätigt (siehe nachfolgende Tabelle). Den ersten Todesfall außerhalb Chinas gab es am Wochenende auf den Philippinen. Es handelte sich um einen eingereisten Chinesen aus Wuhan.

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Asiatische Staaten haben Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um eine Einschleppung des Coronavirus zu verhindern. Aus Sorge vor einer Verbreitung schloss Vietnam sogar die Schulen in 26 von 64 Provinzen für eine Woche. 15 von 24 Millionen Schülern gehen damit nicht zum Unterricht.

Infizierte Deutsche gesundheitlich stabil

In Deutschland ist das Coronavirus bei zehn Menschen nachgewiesen. Unter ihnen sind zwei am Samstag mit einer Bundeswehrmaschine aus Wuhan ausgeflogene Deutsche. Auch immer mehr andere Länder holen ihre Staatsbürger heim.

Den beiden infizierten deutschen Heimkehrern geht es nach Einschätzung der Ärzte gut. „Sie werden gegenwärtig isoliert stationär betreut und sind medizinisch wohlauf“, sagte Dr. Jürgen Graf, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Frankfurt.

Wie bereiten Sie sich in der Praxis auf mögliche 2019-nCoV-Infektionen vor?

Schreiben Sie uns gerne auch mehr unter gp@springer.com
8 %
Wir haben einen extra Infektionsraum und Einmalkittel.
22 %
Übliche Hygienemaßnahmen wurden nochmals intensiviert.
24 %
Im Verdachtsfall erfolgt direkt die Klinikeinweisung.
45 %
Es wurde noch nichts vorgenommen.

Die anderen acht Infizierten in Deutschland haben sich allesamt hierzulande mit dem Erreger angesteckt. Ihre Fälle stehen im Zusammenhang mit der Firma Webasto in Bayern, die chinesische Mitarbeiter zu Besuch hatte. Angesteckt haben sich sieben Angestellte des Autozulieferers und das Kind eines Infizierten. Alle acht sind in guter Verfassung.

Ein weiterer infizierter Deutscher wurde auf der Kanareninsel La Gomera registriert. Er soll Kontakt zu einem in Deutschland infizierten Patienten gehabt haben.

WHO kritisiert „Infodemie“

Unterdessen hat sich die WHO besorgt gezeigt über die Informationsflut zum Coronavirus. Der Ausbruch des Erregers 2019-nCoV sei von einer „massiven Infodemie“, einer Überschwemmung an Informationen begleitet worden, teilte die Weltgesundheitsorganisation am Sonntagabend in Genf mit. Einige Informationen seien korrekt, andere nicht.

Da die Flut an Informationen es vielen Menschen schwer mache, zwischen Mythen und Fakten zu unterscheiden, hat die WHO eine große Informationskampagne auf Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien gestartet. (dpa/ths)

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