TRIPS-Waiver

Patentfreigabe: Von der Leyen erlaubt sich Seitenhieb auf Amerika

Im Meinungskonzert zur Patentfreigabe auf Corona-Impfstoffe wird die Kritik an den USA lauter. Will die Biden-Regierung nur von ihrer bisherigen Impf-Maxime „America first“ ablenken?

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Wem gehört die Welt? Solange Corona-Impfstoff knapp ist, wird auch die Systemfrage wieder gestellt.

Wem gehört die Welt? Solange Corona-Impfstoff knapp ist, wird auch die Systemfrage wieder gestellt.

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Berlin. Die Ankündigung der US-Regierung, den Antrag Indiens und Südafrikas bei der Welthandelsorganisation auf eine zeitweise Patentfreigabe für COVID-Impfstoffe zu unterstützen, bewegt auch in Deutschland die Gemüter. Auf Twitter liefern sich Befürworter und Gegner der Idee einen leidenschaftlichen Schlagabtausch.

Bundestagsabgeordnete der Linkspartei wie Bernd Riexinger, Fabio De Masi oder die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali zollen dem Richtungswechsel des Weißen Hauses, das bisher gegen jegliche Patentfreigabe war, erwartungsgemäß Respekt und fordern die Bundesregierung auf, mitzuziehen.

Zustimmung kommt auch von den Grünen. Unter anderen fordern die Parlamentarier Katharina Dröge und Ottmar von Holtz in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Bundesregierung auf, sie solle sich nun „konstruktiv in die Verhandlungen zum TRIPS-Waiver (d.h. die Patentaussetzung im Rahmen des internationalen Handelsabkommens; Anm. d. Red.) einbringen“.

Ziel der Verhandlungen müsse „eine deutlich gerechtere Verteilung von Impfstoffen, die Förderung von Wissenstransfers zum Aufbau von Produktionsstrukturen“ aber auch „eine faire Vergütung für die Hersteller sein“.

Außenminister auf Kommissions-Linie

Contra gibt es wenig überraschend von liberaler und konservativer Seite. Die FDP-Europaabgeordnete Nicola Beer etwa erklärt, mit „mehr Impfstoff für alle“ sei nur zu rechnen, wenn Forschung, Produktions-Kooperationen und Lizenzvergaben gefördert würden. Dagegen gefährde auch eine nur temporäre Aussetzung der Marktexklusivität „zukünftige Impfstoffe, die Leben retten“.

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) präferiert Milliardenhilfen für globale Impfprogramme wie die Covax-Initiative. „Entscheidend ist, dass schnell mehr Impfstoff produziert und auch verteilt wird. Die Aussetzung von Corona-Impfstoffpatenten alleine sorgt noch nicht für eine einzige zusätzliche Impfdose“, so Müller.

Außenminister Heiko Maas (SPD) twitterte: „Wir sind offen für eine Diskussion, den Patentschutz auszusetzen. Es geht jetzt darum, kurzfristig die Produktionskapazitäten zu erhöhen und die Lieferketten zu optimieren“. Damit lehnt sich Maas kaum weiter aus dem Fenster als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die am Donnerstag zwar „Gesprächsbereitschaft“ in der Sache signalisiert hatte, jedoch die Aufhebung von Impfstoff-Exportbeschränkungen produzierender Länder für dringlicher hält, wenn die globale Versorgung Fahrt aufnehmen soll.

Von der Leyen: Europa schottet sich nicht ab

Zugleich nutzt von der Leyen die Debatte aber auch, um auf die Leistungen der Europäer hinzuweisen. Bislang seien „mehr als 200 Millionen Impfdosen, die in Europa hergestellt wurden, in den Rest der Welt geliefert“ worden. „Europa exportiert genauso viel Impfstoff, wie es innerhalb seiner Grenzen verimpft.“

Auch Seitenhiebe in Richtung London und Washington will sich die Kommissionspräsidentin nicht verkneifen: „Manche mögen einwenden: die USA und das Vereinigte Königreich waren am Anfang schneller. Dabei muss man allerdings eines bedenken: Europa erreicht seine Ziele, ohne sich von der Welt abzuschotten.“ Von der Leyen spielt damit auf die Tatsache an, dass weder die USA noch Großbritannien bisher nennenswerten Impfstoffmengen ausführen.

Steutel: Exportverbote machen uns zu schaffen

Was der Vorsitzende des Pharmaverbands vfa, Han Steutel, bestätigt. In einem Interview, das der „Deutschlandfunk“ am Freitag veröffentlichte, sagt Steutel, die bestehenden und noch geplanten industriellen Produktionskapazitäten für Corona-Impfstoff würden „ausreichen, um die ganze Weltbevölkerung impfen zu können“.

Andererseits hätten die USA in den ersten 100 Tagen der Biden-Administration „ein Exportverbot sowohl für Impfstoffe, aber auch Bioreaktoren, Einwegbeutel, Schläuche“ verhängt. Steutel: „Wir haben in Deutschland bei der Produktion noch immer mehr zu schaffen mit Exportverboten aus Amerika, als es an Kapazität mangelt.“

Der am Donnerstag durch die Medien gegangene Richtungswechsel der USA in Sachen TRIPS-Waiver kommt nicht völlig überraschend. Schon Mitte April hatte die US-Handelsbeauftragte bei der WTO, Katherine Tai, durchblicken lassen, dass die USA ihre ablehnende Haltung womöglich aufgeben könnte. Tai sagte, dass „die erheblichen Ungleichheiten, die wir beim Zugang zu Impfstoffen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sehen, völlig inakzeptabel sind“.

108 demokratische Senatoren appelierten an Biden

Ausschlaggebend für den Wechsel des US-Präsidenten ins Lager der Befürworter einer Patentaussetzung dürfte zuletzt auch Druck aus der eigenen Partei gewesen sein. In einem Ende April von 108 demokratischen Kongressabgeordneten unterzeichneten Brief an Biden heißt es, die Patentaussetzung sei „der Schlüssel“, um die globale Pandemie so schnell wie möglich zu beenden. Der Präsident solle die Position der Vorgängerregierung jetzt aufgeben und Unterstützung für den TRIPS-Waiver zusagen.

Über 100 Staaten hätten sich dem Antrag Indiens und Südafrikas bereits angeschlossen. Den Zugang der Entwicklungsländer zur Impfung zu verbessern, sei nicht allein eine moralische Pflicht, heißt es in dem Schreiben weiter, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Eine nationalistische COVID-Impfpolitik, so die Demokraten unter Berufung auf eine Studie des kalifornischen Think Tanks Rand Corporation, hätte für die Welt schätzungsweise 1,2 Billionen Dollar jährliche Folgekosten zur Konsequenz.

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