Mittel gegen Haarausfall
Post-Finasterid-Syndrom – ein Nocebo-Effekt?
Vermeintliche Spätfolgen von 5-Alfa-Reduktase-Hemmern, die Männer gegen Haarausfall einnehmen, beschäftigen mittlerweile die Zulassungsbehörden. Beim europäischen Derma-Kongress wurde über die Datenlage zum Post-Finasterid-Syndrom diskutiert.
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Besorgt, weil die Haare auf dem Kopf weniger werden? Menschen, die sich wegen androgenetischer Alopezie in medizinische Behandlung begeben, beobachteten den eigenen Körper sehr stark, meint ein Kollege beim europäischen Derma-Kongress. (Symbolbild mit Fotomodell)
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Paris. Unter anderem ein medienwirksamer Selbstmord in Spanien hat dazu geführt, dass das angeblich mit Depression, Suizidalität und sexueller Dysfunktion einhergehende Post-Finasterid-Syndrom (PFS) vor einiger Zeit wieder in vielen Medien auftauchte. Das PFS soll auch Jahre nach der Medikamentengabe noch auftreten können.
Mittlerweile gibt es von den Zulassungsbehörden in den USA, Europa und Großbritannien jeweils Mitteilungen, die in sehr vagen Formulierungen über Selbstmordgedanken als mögliche unerwünschte Wirkung reden.
Die entsprechende EMA-Veröffentlichung zu Finasterid und Dutasterid stammt von Mai 2025, sie entstand im Gefolge eines Review-Prozesses bei dem für Arzneimittelsicherheit zuständigen PRAC-Komitee.
Wenig Wissenschaft, viel Dr. Google
Professor Ramon Grimalt, Dermatologe an der Klinik der Universität Kataloniens in Barcelona, nahm sich beim Kongress der European Academy of Dermatolgy and Venereology (EADV) in Paris der Datenlage an.
Er war in Spanien als Experte nach dem erwähnten Suizid ein gefragter Gesprächspartner für die Medien. Insgesamt, so Grimalt, gebe es zum PFS nur 61 wissenschaftliche Veröffentlichungen, aber 4,9 Millionen Google-Einträge.
Die wissenschaftlichen Publikationen seien fast ausnahmslos in Journalen mit niedrigem Impact-Factor, und sie stammten oft aus Ländern, in denen sich Wissenschaft schwer überprüfen lasse.
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Beispielhaft nannte er eine im Internet viel referenzierte, rumänische Publikation, in der behauptet wurde, dass das PFS in Folge lateralisierter Neuromodulation in erster Linie Rechtshänder betreffe.
Eine andere Studie konstatierte auf Basis einer telefonischen Befragung, dass 5-Alfa-Reduktase-Hemmer zu einem Verlust der Empfindlichkeit des Penis, verringerter Ejakulationskraft und niedriger Penistemperatur führten.
Ebenfalls gängig seien Fallberichte, die alle möglichen nach 5-Alfa-Reduktase-Hemmern auftretenden Symptome mit dem Medikament in Verbindung brächten, etwa eine Vitiligo zwei Monate nach Ende einer Finasterid-Therapie.
Keinerlei Hinweise auf Kausalität
Auf der anderen Seite des Diskussionsspektrums stellt eine Reihe von Reviews sehr stark in Frage, ob es ein PFS überhaupt gibt.
Einer der Reviews, der auch in die Statements von Zulassungsbehörden eingeflossen ist, fand Hinweise auf mehr unerwünschte, PFS-artige Wirkungen bei oraler gegenüber topischer Therapie, was einige als Warnzeichen interpretieren (Int J Dermatol 2025; online 15. Juli).
Der Review betont aber auch, dass die hohe Prävalenz der beschriebenen UAW in der Allgemeinbevölkerung eine kausale Zuordnung mindestens schwierig mache.
Dieselben Autoren fanden in einem weiteren Review keinerlei Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Depression oder Suizidalität in den Jahren 2006 bis 2011, also bevor PFS als Begriff erstmals auftauchte (J Cosmet Dermatol 2025; online 13. März).
Es spricht einiges für einen Nocebo-Effekt
Insgesamt, meint Grimalt, spreche einiges für einen Nocebo-Effekt. Menschen, die sich wegen androgenetischer Alopezie in medizinische Behandlung begäben, seien ein spezieller Schlag Menschen, die sehr besorgt seien und den eigenen Körper sehr stark beobachteten. Das reiche möglicherweise als Erklärung für das PFS aus.
Der Dermatologe riet seinen Kolleginnen und Kollegen, Patienten für die 5-Alfa-Reduktase-Hemmer-Therapie sorgfältig auszuwählen.
Ängste müssten einerseits ernstgenommen werden, andererseits müsse vermieden werden, die durch überdetaillierte Beschreibung von Nebenwirkungen unklarer Kausalität noch zu schüren.