Vernetzte Hilfe für Kinder mit Cerebralparese

Viele Spezialisten, aber kein Plan - das soll sich ändern: Sechs Ärzte arbeiten daran, die Versorgung von Kindern mit Cerebralparese zu verbessern. Eine stärkere Vernetzung soll helfen, der Behandlung eine Struktur zu geben.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

DÜSSELDORF. Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Cerebralparese (CP) leidet häufig unter einem großen Manko: Es kümmern sich zwar viele hoch qualifizierte Spezialisten aus verschiedenen Bereichen um die Patienten, sie wissen aber nichts voneinander.

"Es fehlt an einem roten Faden, einem Versorgungspfad", sagte der Kinderorthopäde Dr. Björn-Christian Vehse von der DRK Kinderklinik in Siegen bei der Vorstellung des CP-Netzes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. "Nur eine Vernetzung führt letztendlich zu einer verbesserten Versorgung."

Hierfür will das CP-Netz NRW die Grundlage schaffen. Die Initiatorengruppe besteht aus sechs Ärzten aus verschiedenen Disziplinen. Sie suchen Mitstreiter aus allen Bereichen.

"Unsere jahrelange Arbeit mit CP-Patienten hat uns motiviert", sagte die Pädiaterin und Physiotherapeutin Dr. Annette Horn, Leiterin der Ambulanz für Bewegungsstörungen am Klinikum Duisburg.

"Unser Ziel ist die nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität und die Teilhabe der Kinder mit Cerebralparese an der Gesellschaft."

Behandlungsstandards und abgestimmte Dokumentation

Die Ärzte wollen eine modulare Versorgungsstruktur entwickeln und dafür zunächst Einheiten für sechs Bereiche definieren: Diagnostik/Klassifikation, Botulinumtoxin/ Pharmakotherapie, Physiotherapie, Ergotherapie, Neuro-Orthopädie und Hilfsmittel.

"Die Module müssen die Maßnahmen widerspiegeln, mit denen Unter-, Fehl- und Überversorgung vermieden werden soll", sagte Horn.

Die neue Struktur müsse hohen Qualitätsanforderungen genügen. Das setze die Einhaltung von Behandlungsstandards ebenso voraus wie die abgestimmte Dokumentation und Kommunikation.

Da die Koordination der Behandlung im bisherigen System nicht geregelt sei, bleibe die Aufgabe oft an den Eltern hängen, sagte der Kinderorthopäde Dr. Daniel Herz vom Uniklinikum Essen. "Die Eltern sind häufig überfordert."

Künftig sollen Angehörige und Patienten einen verbindlichen Leitfaden erhalten, an dem sich auch die Behandler orientieren können. Koordiniert wird die Versorgung von einer noch nicht näher definierten "zentralen Stelle".

"Wir wollen, dass alle in diesem unüberschaubaren Angebot eine zielführende Therapie bekommen", sagte Herz.

Ein entscheidender Faktor sei die strukturierte Informationsweitergabe zwischen den Beteiligten. Das gehe nur mit einer Vernetzung und einer Datenbank, auf die alle Behandler zugreifen können.

Versorgungsverträge mit Kassen angestrebt

Langfristig müsse sich die neue Versorgung in der Vergütung niederschlagen, forderte der Anästhesist Dr. Enno Bialas, Geschäftsführer der bigmed GmbH. Deshalb strebe das Netz Versorgungsverträge mit Krankenkassen an.

"Reichtümer werden damit nicht zu verdienen sein, schon gar nicht kurzfristig", betonte er. Das Konzept sei noch nicht fertig, sondern lebe von der Diskussion der Mitwirkenden.

Die Idee des CP-Netzes stieß bei den rund 100 Teilnehmern der Infoveranstaltung auf großes Interesse, das zum Teil aber mit Skepsis gemischt war.

Manche Ärzte fürchteten, dass die Realisierung des Konzeptes langfristig die Existenz der sozialpädiatrischen Zentren gefährden könnte.

Haus- und Kinderärzte dürften in dem Konzept nicht außen vor bleiben, forderte Dr. Helmut Hollmann, Leiter des Kinderneurologischen Zentrums in Bonn. "Sie müssen wir von Anfang an ins Boot holen."

Uneinigkeit über zentrale Stelle

Diskussionsbedarf bestand auch über die zentrale Stelle, der in dem Konzept eine entscheidende Funktion zukommt.

"Ich glaube, dass es nur ein Arzt sein kann, der den Überblick hat", sagte der Neuropädiater Dr. Thomas Becher von den Sana Kliniken Düsseldorf als einer der Initiatoren.

Physiotherapeuten dagegen hielten die eigene Berufsgruppe für prädestiniert. Schließlich sähen sie die Patienten am häufigsten.

Der Heilpädagogin Dr. Martina Schlüter von der Uni Köln legte den Fokus auf die Patienten: "Wenn Sie den Betroffenen nicht mit seinen Wünschen und Bedürfnissen wahrnehmen, werden Sie kein funktionierendes Netz bekommen."

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