Bescheidenes Zeugnis fürs deutsche Gesundheitssystem

EU kritisiert fehlenden Primärarzt

Fehlende Lotsen im System, wenig Anreize für eine Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Kliniken: Ein aktueller EU-Bericht sieht Optimierungsbedarf bei der Gesundheitsversorgung in Deutschland.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Erste Ansprechpartner für Patienten: Die EU setzt auf eine stärkere Rolle von Hausärzten.

Erste Ansprechpartner für Patienten: Die EU setzt auf eine stärkere Rolle von Hausärzten.

© Gina Sanders / stock.adobe.com

Berlin/Brüssel. Ein neuer Bericht der EU-Kommission stellt dem deutschen Gesundheitssystem ein bescheidenes Zeugnis aus. So seien etwa bei der „integrierten Versorgung“ der Patienten nur geringe Fortschritte zu verzeichnen, heißt es im sogenannten länderspezifischen Gesundheitsprofil für Deutschland, das Teil eines Begleitreports zum „State of Health in the EU“ ist.

EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis stellt den der „Ärzte Zeitung“ vorliegenden Report an diesem Donnerstag in Brüssel vor.

Brüche in der Versorgung

Das Erbringen ärztlicher Leistungen sei in Deutschland bislang „stark fragmentiert“ und „unzureichend koordiniert“, listet der von der EU-Kommission in Kooperation mit der OECD und dem European Observatory on Health Systems and Policies erstellte Länderbericht einige der Mängel auf. Nach wie vor fehle ein „Gatekeeping-System“, mit dem Patienten auf die passende Versorgungsebene gesteuert würden. Dadurch komme es zu „Brüchen“ in der Versorgung durch Haus- und Fachärzte. Da es bislang kein elektronisches Patientenaktensystem gebe, gingen Informationen, die für eine abgestimmte Behandlung nötig seien, „oft“ verloren.

Unterschiedliche Organisations- und Finanzierungsvorschriften führten überdies zu einer „starken Trennung“ zwischen der Versorgung in Krankenhäusern und der in Arztpraxen. Anreize für eine stärkere Zusammenarbeit fehlten weitestgehend.

1,5 Kilometer und weniger entfernt liegt für das Gros der Bundesbürger der nächstgelegene Hausarzt, heißt es im EU-Länderprofil Deutschland. Ausnahmen stellten ländliche Gebiete dar, wo es „erhebliche“ Entfernungen zum Hausarzt gebe.

Mit ihrem Befund legen die Autoren ihre Finger in eine offene Wunde, die auch von deutschen Ärzten aktuell beklagt wird. So hatte zuletzt etwa die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) ein hausärztliches Primärarztsystem gefordert. Bei diesem solle der Zugang zur nächst höheren Versorgungsebene stets über den Hausarzt erfolgen. Auf diese Weise lasse sich eine „unkoordinierte Inanspruchnahme des Systems“ verhindern sowie eine Über- und Unterversorgung der Patienten mit medizinischen Leistungen eindämmen, so die DEGAM.

Der EU-Bericht zeigt, dass für das Gros der Bundesbürger ein Hausarzt als Lotse bereitstehen könnte. So liege für die Mehrheit der Bevölkerung die nächstgelegene Hausarztpraxis weniger als 1,5 Kilometer entfernt. Freilich: In ländlichen Gebieten könne es einen Ärztemangel geben, „der zu längeren Anfahrtswegen für die Patienten führen kann“.

Optimierungsbedarf macht der EU-Bericht auch im Bereich des ambulanten Operierens aus. Eine „Möglichkeit zur Effizienzsteigerung“ der Patientenversorgung in Deutschland bestehe darin, „die übermäßige Inanspruchnahme teurer stationärer Behandlungen zu reduzieren sowie die ambulante Versorgung und Operationen in Tageskliniken auszubauen.

Mehr ambulant operieren

Überhaupt falle der Rückgang der Zahl der Klinikbetten in Deutschland seit dem Jahr 2000 „bescheiden“ aus, stellen die Autoren fest. Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus sei in Deutschland zuletzt zwar schneller zurückgegangen. Mit neun Tagen liege sie aber immer noch über dem EU-Schnitt von acht Tagen.

Die Bundesregierung dürfte sich durch die EU-Empfehlung nach mehr Möglichkeiten des ambulanten Operierens in ihrer Politik bestätigt sehen. So wollen Union und SPD mit dem kürzlich verabschiedeten MDK-Gesetz den Katalog ambulant zu erbringender Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen weiter fassen. Ein von der Selbstverwaltung zu lieferndes Gutachten soll dazu konkrete Vorschläge unterbreiten.

Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Kluges Konzept für Ärzte- und Gesundheitszentren macht Schule

© MEDZENTRUM

MEDZENTRUM

Kluges Konzept für Ärzte- und Gesundheitszentren macht Schule

Anzeige | MEDZENTRUM Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH
Professor Lutz Hager, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care.

© Porträt: BMC | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag“-Podcast

Ist eine patientenzentrierte Versorgung besser als eine hausarztzentrierte, Professor Hager?

Ihr Partner in der Hausarztpraxis

© MSD Sharp & Dohme GmbH

MSD Fokus Allgemeinmedizin

Ihr Partner in der Hausarztpraxis

Anzeige | MSD Sharp & Dohme GmbH
Vom Säugling bis zum Senior

© Juanmonino | iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Impfungen

Vom Säugling bis zum Senior

Anzeige | MSD Sharp & Dohme GmbH
Herausforderung Diabetes mellitus Typ 2

© MSD Sharp & Dohme GmbH

Allgemeinmedizin

Herausforderung Diabetes mellitus Typ 2

Anzeige | MSD Sharp & Dohme GmbH
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Die Newsletter der Ärzte Zeitung

» kostenlos und direkt in Ihr Postfach

Am Morgen: Ihr individueller Themenmix

Zum Feierabend: das tagesaktuelle Telegramm

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Gastbeitrag

Ein Impulspapier und der ungebrochene Glaube an das ewige Leben

Lesetipps
Vielfalt von Suppen und Protein-Shakes von oben fotografiert

© [M] Iftikhar alam / stock.adobe.com

Lehren aus der DiRECT-Studie

Mit Suppen und Shakes den Diabetes wieder loswerden

Porträt von Professor Annerose Keilmann

© Mathias Ernert

Phoniatrie und Pädaudiologe

Chefärztin Annerose Keilmann – die Stimme für alle Fälle