Große Hoffnungen, harte Landung - SAPV-Vertrag in NRW

Beim Vertragsstart war von Vorbildcharakter die Rede, nun ist Ernüchterung eingekehrt: Palliativ-Netze in Nordrhein-Westfalen zögern, den Vertrag zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung zu unterschreiben. Vielen Ärzten ist der vorgesehene Anteil von 51 Prozent ihrer Arbeitszeit für die SAP-Versorgung zu groß.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung sorgt in Nordrhein-Westfalen für Unmut bei manchen Ärzten. © Klaro

Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung sorgt in Nordrhein-Westfalen für Unmut bei manchen Ärzten. © Klaro

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Vor einem Jahr hörte sich noch alles gut an. In Nordrhein hatten sich die KV (KVNo) und die Krankenkassen auf eine Vereinbarung zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) verständigt. Damit sollten schwerstkranke Patienten ihren gesetzlich verbrieften Anspruch auf die SAPV einlösen können. Von einem Vorbild für ganz Deutschland war die Rede. Doch inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt.

Erst drei Netze haben unterschrieben

Ganze drei Palliative Care Teams (PCT) haben bislang einen SAPV-Vertrag unterschrieben: in Aachen, Düren und Mettmann. Dabei gibt es in Nordrhein inzwischen 33 Palliativ-Netze, die fast flächendeckend die allgemeine ambulante Palliativversorgung sicherstellen. Sie schrecken vor allem aus einem Grund vor dem Vertrag zurück: Er sieht vor, dass die Ärzte und Pflegekräfte mindestens 51 Prozent ihrer Arbeitszeit für die Patientenversorgung im PCT verwenden.

"Für einen Hausarzt bedeutet das, dass er die Hälfte seines normalen Praxisbetriebs aufgeben muss. Das wird sich jeder ganz genau überlegen", sagt Dr. Leo Habets, niedergelassener Onkologe aus Aachen und Vorstand des Vereins Home Care Aachen. Aus dem Verein hat sich das Projekt Home Care Städteregion Aachen entwickelt, das den SAPV-Vertrag unterschrieben hat. Home Care Aachen nimmt wegen seiner Ausstattung und seiner Organisation eine Sonderstellung ein. "Auch wir konnten die vorgegebenen Leistungsanforderungen nur mit Mühe erfüllen", berichtet Habets.

Es sei richtig und wichtig, die Teilnahme an der palliativmedizinischen Versorgung an qualitative Voraussetzungen zu knüpfen, betont er. "Die 51-Prozent-Regel schließt aber eine ganze Reihe von Netzen aus, die auf hohem qualitativen Niveau arbeiten." In anderen Regionen sei die SAPV zwar später auf den Weg gebracht worden, die Umsetzung gelinge aber besser, weil die Vorgaben realistischer seien, so Habets.

Den Aachener Onkologen ärgert zudem, dass die PCT für die Abrechnung im Vertrag die KVNo-Verwaltungsgebühr berappen müssen. 2009 waren das 2,8 Prozent, seit 1. Januar sind es 2,6 Prozent.

Auch Dr. Martin Franke, Palliativarzt im PCT der Wohnanlage Sophienhof in Düren, sieht die Vorgaben des Vertrags skeptisch. "Wir haben dennoch unterschrieben, weil wir befürchten, dass sonst Chaos entsteht." Das Problem: Organisationen wie die Caritas beginnen damit, Parallelstrukturen aufzubauen. Der SAPV-Vertrag sei ein wichtiger Fortschritt für die Versorgung. "Ich hoffe, dass die Knackpunkte bald gelöst werden", sagt Franke.

Für den Internisten und Palliativmediziner Dr. Udo Kratel, Leiter des Ambulanten Palliativzentrums Dormagen (APZ), rächt sich jetzt, dass bei der Gestaltung des SAPV-Vertrags die in der Versorgung Aktiven zu wenig einbezogen wurden. "Der Vertrag ist realitäts- und basisfern", sagt Kratel. Das APZ, das zum Praxisnetz Dormagen gehört, hat ihn bis jetzt noch nicht unterschrieben. "Es ist mir ein Rätsel, warum die Vertragspartner die Messlatte so hoch gehängt haben, dass die SAPV aus den gewachsenen Strukturen heraus nicht umgesetzt werden kann", sagt Kratel. Man brauche jetzt bei der SAPV klare Fristsetzungen für Vertragsabschlüsse, forderte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Eugen Brysch.

Cornelia Prüfer-Storcks, Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg, kann den Widerstand nicht nachvollziehen. "Wir sind nach wie vor gesprächsbereit", sagt sie. Eine Protokollnotiz setze den Knackpunkt der 51-Prozent-Regelung für zwei Jahre aus. "Nach diesen zwei Jahren werden wir sehen, ob die Vorgabe zu erfüllen ist oder nicht", sagt sie. Die Kasse und die KVNo seien in den regionalen Verhandlungen sehr flexibel gewesen, auch was die anderen Zugangsqualifikationen betreffe, betont Prüfer-Storcks. "Es geht uns darum, eine gute Versorgung sicherzustellen." Sie erwartet, dass dies auch gelingen wird. "Wir führen an vielen Stellen konkrete Verhandlungen."

KV sollte sich fragen: Was läuft falsch beim Vertrag?

Dr. Dagmar Starke, bei der KVNo für die SAPV zuständig, kann die Ängste der Niedergelassenen zwar verstehen, hält sie aber für unbegründet. "Wenn es gelingt, dass viele Schwerstkranke bis zum Schluss zu Hause begleitet werden, werden viele Teams die Quote schaffen." Bei der SAPV gehe es darum, jeden einzelnen betroffenen Patienten adäquat zu versorgen. "Dafür brauchen wir Spezialisten", sagt Starke.

Hausarzt Kratel sieht die Übergangsregelung skeptisch. "In zwei Jahren wird man sehen, dass nicht genügend Ärzte die 51-Prozent-Hürde genommen haben", erwartet er. Da wäre es besser, gleich einen versorgungsnäheren Vertrag zu gestalten. "Wenn ein Angebot nicht angenommen wird, dann muss ich mich doch fragen: Was habe ich falsch gemacht?"

SAPV-Vertrag in Nordrhein-Westfalen

Zum zweiten Quartal 2009 hat die Kassenärztliche Vereinigung mit allen rheinischen Krankenkassen einen Rahmenvertrag zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung geschlossen. Ihm können Palliative Care Teams (PCT) beitreten, in denen mindestens drei qualifizierte Palliativ-Ärzte und vier examinierte Pflegekräfte mit einer Palliative-Care-Zusatzausbildung tätig sind. Für die Koordination und das Assessment erhalten die PCT 300 Euro pro Patient. Für die ärztliche und pflegerische Vollversorgung zahlen die Kassen 225 Euro pro Patient und Tag. Bei einer Teilversorgung fließen 40 Euro pro Einsatz bis maximal 135 Euro täglich.

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