Schmerz, Schlaf, Depression

Eine komplexe Trias

Gestörter Schlaf hat Einfluss auf Stimmung und Schmerzwahrnehmung: Wiederholter Schlafentzug kann eine Depression lindern, erhöht aber auch die Schmerzempfindlichkeit.

Von Dagmar Jäger-Becker Veröffentlicht:

HAMBURG. Neuere Untersuchungen liefern Hinweise für eine bidirektionale Beziehung zwischen (gestörtem) Schlaf und Schmerz, erklärte Dr. Bernd Kundermann, Uniklinikum Marburg, beim Deutschen Schmerzkongress in Hamburg.

Die Prävalenz von Insomnien bei chronischen Schmerzen nimmt mit der Zahl der Begleiterkrankungen zu. Gestörter Schlaf beeinflusst auch die Schmerzwahrnehmung am nächsten Tag. Die Behandlung von Schlafstörungen sollte daher als zusätzliches Modul in die Schmerztherapie aufgenommen werden.

Zwischen chronischen Schlafstörungen und akuter Schlafdeprivation bestünden Unterschiede, wobei bislang nicht geklärt sei, ob diese qualitativer oder quantitativer Natur sind, so Kundermann. Experimenteller Schlafentzug entfaltet seine hyperalgetischen Wirkungen zumindest partiell auch unabhängig von "unspezifischen" Affektstörungen oder Depressionen.

Bei Patienten mit Major Depression nimmt unter Schlafentzug die Depressivität über Nacht ab. Gleichzeitig nehmen die Schmerzschwellen für Hitzereize ab und die Schmerzbeschwerden zu. Wiederholter Schlafentzug sei zwar gut für die Stimmung, erhöhe jedoch die Schmerzempfindlichkeit.

Circulus vitiosus

Tier- und humanexperimentelle Untersuchungen haben einen Circulus vitiosus bei Schlaf und Schmerz aufgedeckt, der auf einer Neurotransmitter-Dysbalance basiert.

Bereits eine Nacht Schlafentzug kann zu einer Steigerung der Schmerzempfindlichkeit mit generalisierter Hyperalgesie führen, Spontanschmerz nimmt eher durch chronischen Schlafmangel zu, erläuterte Privatdozentin Dr. Sigrid Schuh-Hofer vom Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik, Universitätsmedizin Mannheim.

Pathophysiologisch liegt diesen Zusammenhängen eine gestörte Balance schmerzmodulierender Substanzen zugrunde. Tierversuche deuten auf Veränderungen in serotonergen, noradrenergen und opioidalen Transmittersystemen hin.

Schlafentzug hat offenbar proinflammatorische Effekte und beeinflusst neuroimmunologische Prozesse: Unter Schlafdeprivation sind TNFalpha, IL6 und IL1beta erhöht.

Chronopharmakologie

Ob jemand Morgenmuffel oder Frühaufsteher ist, ist genetisch determiniert, erklärte Dr. Stefan Gorbey von der Medizinischen Fakultät Mannheim. Auch die physiologischen Funktionen von Tier und Mensch unterliegen einem tageszeitlichen Rhythmus.

Deutlich sei etwa die zeitabhängige Empfindlichkeit für verschiedene Schmerzreize beim Menschen. Dies betrifft auch die Analgesie, wie beispielsweise Untersuchungen zum Effekt von Fentanyl bei experimentellem Hitzeschmerz gezeigt haben.

Nicht Insomnie-assoziierte Migräneattacken beispielsweise nehmen mittags zu, Insomnie-assoziierte haben dagegen einen Peak am Vor- und Nachmittag. Angina-Schmerzen haben morgens ihren Höhepunkt, Patienten mit Fibromyalgie leiden vorwiegend abends, erläuterte Gorbey.

Auch neuropathische Schmerzen aufgrund einer diabetischen Neuropathie oder Zoster-Neuralgie unterliegen, sogar unter einer Behandlung mit Gabapentin oder Morphin, tagesrhythmischen Schwankungen.

Auch Medikamente wirken zeitabhängig, erinnerte Gorbey. Das Thema Chronopharmakologie, zu dem es bislang wenig Daten gibt, sollte bei der Therapie von Schmerzpatienten viel mehr Beachtung finden. So sollte etwa Morphin besser morgens eingenommen werden.

Bei Paracetamol verlängert sich bei Mittagsgabe die Halbwertszeit und NSAR haben bei morgendlicher Einnahme eine bessere Bioverfügbarkeit, aber auch ein höheres Nebenwirkungsrisiko. Die Einnahme von Schmerzmedikamenten zur passenden Uhrzeit könnte die Therapiekosten verringern und die Compliance verbessern, so Gorbey.

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