Epidemiologische Analysen
Demenz: Einfluss von Luftverschmutzung überschätzt?
Eine starke Luftverschmutzung geht mit einem erhöhten Demenzrisiko einher. Wie viel davon tatsächlich an der Luftverschmutzung hängt, können auch neuere Studien nicht präzise klären. Möglicherweise wird der Einfluss der Luftqualität auf das Demenzrisiko aber überschätzt.
Veröffentlicht:Denver. Zumindest dieser Zusammenhang wird kaum noch bestritten: Wer in Gegenden mit sehr schlechter Luftqualität wohnt, erkrankt mit höherer Wahrscheinlichkeit an einer Demenz als Bewohner von Reinluftgebieten, darauf deuten viele große Kohortenstudien. Dabei stellt sich natürlich die Frage, liegt es an der Luft oder an anderen Faktoren?
Wer in einer kleinen Wohnung neben einer dicht befahrenen Straße wohnt, dürfte ein anderes Leben führen als der Besitzer einer Villa im Grünen: Einkommen, Bildungsniveau, Ernährung – all das wird sich massiv unterscheiden und das Demenzrisiko ebenfalls beeinflussen.
Mit einigen ausgefeilten epidemiologischen Analysen versuchen Forscher, solche Einflüsse zu berücksichtigen. Beim internationalen Alzheimer-Kongress (AAIC) in Denver bestätigten solche Studien vor allem den Zusammenhang mit Feinstaub, dessen Einfluss auf die Demenzinzidenz ist womöglich aber weit geringer als die Bedeutung etablierter Risikofaktoren.
Bessere Luft, bessere Kognition
Immerhin verläuft der kognitive Abbau dort langsamer, wo sich die Luftqualität verbessert. Dafür spricht eine Analyse der Kohortenstudie Women’s Health Initiative (WHI) mit über 2200 älteren Frauen. An deren Wohnorten hat die Luftschadstoffbelastung bezogen auf Feinstaub (PM2,5) und Stickoxid zwischen 1998 und 2008 deutlich abgenommen: Feinstaubwerte gingen im Schnitt um etwa 30 Prozent, Stickoxidwerte um 50 Prozent zurück.
Ein Team um Dr. Xinhui Wang von der Universität in Los Angeles hat ausgerechnet, wie stark der kognitive Abbau an solchen Veränderungen hängt. Zwischen 2008 und 2014 war der kognitive Abbau im Quartil mit der stärksten Verbesserung der Luftqualität signifikant geringer als im Quartil mit der geringsten Verbesserung.
Der Unterschied ließ sich nach sechs Jahren auf etwa ein bis eineinhalb Jahre Verzögerung beim kognitiven Abbau beziffern, und dies unabhängig von anderen Risikofaktoren wie Bildung und Begleiterkrankungen.
Drei-Städte-Studie mit über 9000 Teilnehmern
In eine ähnliche Richtung weisen Analysen der Drei-Städte-Studie mit über 9000 älteren Teilnehmern aus Frankreich. Zum einen ging die kognitive Leistung dort am stärksten zurück, wo die Luft am schlechtesten war – dies galt aber nur für Feinstaub und die globale kognitive Funktion, nicht für andere Luftschadstoffe oder die Leistung in einzelnen kognitiven Domänen. Zum anderen war der kognitive Abbau dort am geringsten, wo die Schadstoffbelastung am stärksten zurückging.
Rechnerisch führte die mittlere Verringerung der Feinstaubbelastung von 12 Mikrogramm PM2,5 pro Kubikmeter (μg/m3) zwischen den Jahren 1990 und 2000 in den Folgejahren zu 15 Prozent weniger Demenzerkrankungen, erläuterte Dr. Noemie Letellier vom Scripps Institution in La Jolla.
Ein Problem solcher Analysen ist jedoch, dass andere Demenzrisikofaktoren im selben Zeitraum ebenfalls rückläufig waren: Blutdruck sowie Blutzucker- und Blutfettspiegel wurden medikamentös besser kontrolliert, der Raucheranteil sank, all das lässt sich in den Berechnungen nur bedingt abbilden.
Sozioökonomische Faktoren relevanter als Luftqualität
Einen anderen Ansatz wählten Forscher um Dr. Kristina Dang von der Universität in San Francisco. Sie schauten sich die Adressen der Teilnehmer der National Health and Aging Trends Study (NHATS) etwas genauer an. An der Studie nahmen rund 8200 repräsentativ ausgewählte US-Bürger über 65 Jahren teil. Die mittlere Feinstaubbelastung (PM2,5) am Wohnort belief sich im Schnitt auf 9,5 μg/m3.
Teilnehmer mit höherer Feinstaubbelastung schnitten in Kognitionstests zu Beginn deutlich schlechter ab als solche mit niedrigerer Belastung, im Laufe von sechs Jahren schritt der kognitive Abbau jedoch unabhängig von der Belastung ähnlich schnell voran, lediglich das Ausgangsniveau war ein anderes. Dieser Effekt zeigte sich sowohl in reichen als auch in armen Wohngegenden, wobei das Ausgangsniveau in den reichen Wohngegenden unabhängig von der Feinstaubbelastung stets wesentlich höher war als in den ärmeren.
Daraus lässt sich schließen, dass sozioökonomische Faktoren und damit verbundene gesundheitliche Auswirkungen den kognitiven Abbau wesentlich stärker beeinflussen als die Luftqualität. Auf der anderen Seite tritt der Feinstaubeffekt in sämtlichen sozioökonomischen Schichten auf. Unklar ist hier natürlich, ob dies nur eine feinere sozioökonomische Stratifizierung widerspiegelt – die reicheren Reichen atmen eine noch bessere Luft als die weniger Reichen und leben auch sonst noch etwas gesünder – oder ob es sich tatsächlich um einen Schadstoffeffekt handelt.
Berücksichtigung von Wohnortwechsel
Entscheidend sollte aber nicht nur der Wohnort zu einem bestimmten Zeitpunkt sein, schließlich ziehen einige Menschen häufiger um, und damit ändert sich mitunter auch die Luftqualität in ihrer Umgebung. Diesen Effekt haben Forscher um Dr. Cindy Leary von der Universität in Missoula in einer Auswertung der Ginkgo Evaluation of Memory Study (GEMS) analysiert. Daran haben über 3000 ältere Personen aus vier Regionen in den USA teilgenommen.
Berücksichtigte das Team um Leary auch die Wohnorte der Teilnehmer in den 20 Jahren vor der Studie und die dort bestehende Luftqualität, so ergab sich für etwa 12 Prozent der Teilnehmer ein anderes Belastungsprofil als bei einer Berücksichtigung ausschließlich des aktuellen Wohnorts. Dies beeinflusste das Gesamtresultat deutlich: Die Demenzinzidenz war dann sowohl bei erhöhten Feinstaub- als auch Stickoxidwerten signifikant höher, nicht aber, wenn nur die Belastung am aktuellen Wohnort in die Berechnung einfloss.
Allerdings deuten die breiten Konfidenzintervalle in beiden Modellen auf eine erhebliche Unsicherheit. Die Frage, ob und in welchem Maße die Luftqualität das Demenzrisiko beeinflusst, ist längst nicht beantwortet.