Neuralink meldet ersten Einsatz am Menschen

Traum von Elon Musk: Implantate mit Schnittstelle zum menschlichen Gehirn

Mit Gehirnchips Roboterarme oder andere Dinge steuern – das war einzelnen Patienten bereits möglich. Mit viel Geld will Tech-Milliardär Elon Musk ein solches System nun zur Marktreife drücken. Doch ist sein Weg tatsächlich der, der am meisten verspricht?

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Elon Musk, Tesla-Chef, bei einem Besuch auf der Baustelle der Tesla Gigafactory in Brandenburg vor einigen Jahren. Musk setzt große Hoffnungen in die Neuro-Implantate, auch wenn die invasive Methode Risiken birgt.

Elon Musk, Tesla-Chef, bei einem Besuch auf der Baustelle der Tesla Gigafactory in Brandenburg vor einigen Jahren. Musk setzt große Hoffnungen in die Neuro-Implantate, auch wenn die invasive Methode Risiken birgt.

© Patrick Pleul / dpa

Fremont. Elon Musks Medizintechnik-Firma Neuralink hat ihr Gehirn-Implantat zum ersten Mal einem Menschen eingesetzt. Der Patient erhole sich nach dem Eingriff am Sonntag gut, schrieb der Tech-Milliardär am Montag auf seiner Online-Plattform X.

Das Implantat von Neuralink soll es ermöglichen, durch Gedanken ein Smartphone zu bedienen – und darüber auch andere Technik. Auch weitere Unternehmen und Forscher arbeiten an solchen Verfahren.

Bisher fehlten noch sehr viele Informationen zu dem Fall, sagte der Neurotechnologe Rüdiger Rupp vom Universitätsklinikum Heidelberg der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Unklar sei etwa, wie viele Drähte implantiert worden seien und ob der Versuch auf eine bestimmte Frist oder dauerhaft ausgelegt sei. Dass neuronale Aktivität abgeleitet werden konnte, bedeute erst einmal wenig. „Das heißt noch keine Kontrolle eines Smartphones“, betonte Rupp. Dafür müsse die Aktivität der Neuronen vom Nutzer aktiv durch Gedanken moduliert werden können, zudem müsse ein neuronaler Dekoder die neuronale Aktivität stabil in Steuerbefehle umwandeln.

„Unzählige kleine Probleme bis zur Marktreife“

Die Technik an sich stelle keine Revolution dar, sagte der Neuroinformatiker Moritz Grosse-Wentrup von der Universität Wien der dpa. Schon seit knapp zwei Jahrzehnten würden von einzelnen Patienten Roboterarme über Implantate gesteuert. „Die Technologie ist im Prinzip schon da, aber mit Neuralink ist es nun auch möglich, mit viel Geld und vielen Mitarbeitern die unzähligen kleinen Probleme bis zur Marktreife zu lösen.“

Das Implantat habe mit 1024 vergleichsweise viele Elektroden, die mit Nervenzellen im Gehirn verbunden werden, erklärte Grosse-Wentrup. Zudem ließen sich sehr zielgenau bestimmte Bereiche und damit auch Funktionen ansteuern. Der große Nachteil des Verfahrens aus Sicht des Neuroinformatikers: „Man ist im Gehirn drin.“ Das berge immer das Risiko von Infektionen, zudem setze sich Hirngewebe wie jedes andere zur Wehr, etwa mit Abkapselungsreaktionen. „Wie lange das System stabil bleiben kann, ist noch vollkommen unklar.“ Bei ähnlichen invasiven Ansätzen habe sich gezeigt, dass die Zahl beobachtbarer Neuronen mit der Zeit abnimmt.

Tatsächlich sah sich das Unternehmen zuletzt Untersuchungen zu den Sicherheitsprotokollen gegenüber, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet. Im Januar sei das Unternehmen zudem vom US-Transportministerium bestraft worden, weil Regeln zum Transport von Gefahrenstoffen verletzt worden seien. Reuters berichtet auch, es habe Untersuchungen gegeben, weil Investoren über Probleme mit Implantaten bei Affen, etwa Hirnschwellungen oder Lähmungen, im Unklaren gelassen worden seien. Das Unternehmen sei im vergangenen Jahr mit fünf Milliarden US-Dollar bewertet gewesen.

Niemand pumpt so viel Geld „da rein“

Wirklich beurteilen werde man Neuralink darum erst in einige Jahren können, sagte Grosse-Wentrup. Mit ersten Zulassungen sei gegebenenfalls erst in etwa einem Jahrzehnt zu rechnen.

Neuralink hat mehrere Konkurrenten, die die Technologie ebenfalls kommerziell nutzen wollen. Die Firma Precision Neuroscience will ihr Implantat mit ebenfalls 1024 Elektroden auf einem Film über einen sehr feinen Schnitt im Schädel minimalinvasiv am Gehirn anbringen. Synchron will ein System mit 16 Elektroden über Blutgefäße in die Nähe der richtigen Gehirnbereiche bringen.

Gegenüber anderen Firmen und Kooperationen mit ähnlichem Ziel habe Neuralink dabei aber einen speziellen Vorteil, so Grosse-Wentrup: „Alle anderen pumpen bei weitem nicht so viel Geld da rein.“

Wo könnten die Gewinne herkommen?

Nicht klar ist dem Experten dabei, wo sich Musk bei Marktreife der Technologie dann die Riesengewinne erhofft. Die Patientengruppe, die absehbar profitieren könne, sei nicht sehr groß. „Nur wenige Menschen haben so schwere Lähmungen.“ Für jeden Fall sei das Risiko des invasiven Eingriffs ins Gehirn abzuwägen. Zudem gebe es andere Möglichkeiten wie die Sprachsteuerung von Computern und Geräten.

Prinzipiell sei längerfristig denkbar, über die Technologie bestimmten Patienten das Gehen wieder zu ermöglichen, ergänzte Grosse-Wentrup. Die Kosten und Herausforderungen seien aber immens.

Mit großen Summen und ungewissen Aussichten umzugehen, ist für Elon Musk allerdings nichts Neues. Der 52-jährige Unternehmer und Milliardär peitschte den Elektroautobauer Tesla und die Weltraumfirma SpaceX zur weltweiten Bedeutung. Die ganze Autobranche wendete sich unter seinem Druck verstärkt Elektrofahrzeugen zu.

Mondraketen, Satelliten, Twitter

Die USA kommen nicht ohne Raketen von SpaceX aus, künftig sollen mit dem SpaceX-Raketensystem „Starship“ Menschen zu Mond und Mars fliegen. Auch die Abhängigkeiten von Musks Satellitensystem Starlink wachsen. Seine Weichenstellungen bei Twitter, das er 2022 kaufte und dann in X umbenannte, könnten den nächsten Wahlkampf ums Weiße Haus beeinflussen.

Derzeit gebe es keinen entscheidenden Vorsprung von Neuralink gegenüber anderen implantierten Lösungen, sagte Rupp. Die große Aufmerksamkeit sei aber womöglich dennoch gerechtfertigt, da Musk nun einmal bekannt dafür sei, dass er sehr zielstrebig und ausdauernd Innovationen zur Marktreife und zur praktischen Verwendbarkeit führe. „Es wäre für das ganze BCI-Feld ein großer Gewinn, wenn Musk wie bei Tesla oder SpaceX auch bei Neuralink ein Produkt auf den Markt bringen und mit seinen hohen verfügbaren Geldsummen lange auf dem Markt halten würde“, erklärte Rupp. BCI steht für Hirn-Computer-Schnittstellen (Brain-Computer-Interfaces).

Extrem feine Elektroden

Das Unternehmen Neuralink hatte Musk 2016 gegründet, um Möglichkeiten zur Vernetzung des menschlichen Gehirns mit Maschinen untersuchen zu lassen. Die Erlaubnis, das entwickelte Implantat zu Forschungszwecken in einer klinischen Studie Menschen einzusetzen, bekam Neuralink im Mai 2023. Davor war die Technik an Tieren getestet worden.

Die extrem feinen Elektroden des Implantats werden bei einer Operation mithilfe eines speziellen Roboters direkt mit Hirngewebe verbunden. Externe Geräte sollen dann kabellos angesteuert werden können. Für die klinische Studie hatte Neuralink Patienten mit Tetraplegie gesucht.

Zu Hirn-Computer-Schnittstellen forschen seit Jahren mehrere Einrichtungen und Unternehmen. Sie basieren darauf, dass das Gehirn elektrische Felder erzeugt. Diese Felder können gemessen werden und stellen ein Abbild unserer Gedanken dar. Da bestimmte Gedanken mit charakteristischen Mustern einhergehen, kann man Computer lernen lassen, aus diesen Mustern Rückschlüsse auf unsere Gedanken zu ziehen.

Kommunikation für Patienten mit Locked-in-Syndrom

Gelingt das, könnten auf diese Weise zum Beispiel Gelähmte per Gedankensteuerung ein Exoskelett steuern oder Menschen mit Locked-In-Syndrom mit ihrer Außenwelt kommunizieren.

Für vielversprechender als den Ansatz von Neuralink hält Rupp dabei aktuell weniger hochinvasive Elektrodensysteme, bei denen die Hirnaktivität über ein Implantat unterhalb der Schädeldecke, aber nicht tief im Gehirn abgelesen wird. (dpa/eb)

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