Thrombose

Die unterschätzte Gefahr

An den Folgen einer tiefen Venenthrombose sterben jährlich doppelt so viele Menschen wie an Brustkrebs, Prostatakrebs, AIDS und Verkehrsunfällen zusammen, mahnen Gerinnungsexperten anlässlich des heutigen Welt-Thrombose-Tags. Ihr Appel an Ärzte: Bitte Thromboseprophylaxe gezielter einsetzen!

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Störung des Blutstroms.

Störung des Blutstroms.

© MAN AT MOUSE / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Der 13. Oktober wurde von gefäßmedizinischen Fachgesellschaften aus aller Welt zum Welt-Thrombose-Tag ausgerufen. Von deutscher Seite sind die Deutschen Gesellschaften für Angiologie (DGA) und Phlebologie (DGP) sowie die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) mit an Bord.

Der Termin ist kein Zufall: Am 13. Oktober 1821 wurde Rudolf Virchow geboren. Die nach ihm benannte Virchow-Trias (Störungen der Gefäßwand, des Blutstroms und der Gerinnung) beschreibt auch im 21. Jahrhundert noch akkurat die wichtigsten Risikofaktoren für eine Thrombose.

Eine Erfolgsgeschichte ist die lange Historie der Thrombose und ihrer Prophylaxe freilich nicht. "In Deutschland sterben immer noch über 100.000 Menschen pro Jahr an den Folgen einer tiefen Venenthrombose. Das sind doppelt so viele wie an Brustkrebs, Prostatakrebs, AIDS und Verkehrsunfällen zusammen", sagte Professor Rupert Bauersachs von der Klinik für Gefäßmedizin am Klinikum Darmstadt bei einer Veranstaltung zum Welt-Thrombose-Tag an der Charité in Berlin.

Ein erheblicher Teil dieser Todesfälle gilt als prinzipiell vermeidbar. So war in einer oft zitierten Metaanalyse aus dem Jahr 2007 das Risiko einer Lungenembolie bei Einsatz einer Thromboseprophylaxe bei internistischen stationären Patienten um knapp 60 Prozent geringer. Etwa 300 bis 400 Patienten müssen behandelt werden, um ein solches Ereignis zu vermeiden (Ann Intern Med 2007; 146: 278).

Ähnlich solide Zahlen zur Effektivität der Thromboseprophylaxe im ambulanten Umfeld sind Mangelware. Trotz der dünnen Datenlage sieht Dr. Robert Klamroth vom Berliner Vivantes Klinikum Friedrichshain aber gerade hier das größte Verbesserungspotenzial.

"Die evidenzbasierten Empfehlungen zur Thromboseprophylaxe gelten auch im ambulanten Bereich. Wer ambulant operiert wird und danach zu Hause im Bett liegt, braucht eine Thromboseprophylaxe", betonte der Leiter der Klinik für Innere Medizin/Angiologie.

S3-Leitlinie ist weiterhin aktuell

Was die Indikationsstellung zur Thromboseprophylaxe angeht, sind die Empfehlungen der deutschen S3-Leitlinie aus dem Jahr 2009/2010 weiterhin aktuell, auch wenn diese offiziell Ende Oktober abläuft und die neue Version sich noch in Bearbeitung befindet.

"Im chirurgischen und im postchirurgischen Bereich sollte bei jedem Patienten, der eine ambulante Operation über sich ergehen lässt, das Thromboserisiko individuell abgeschätzt werden", betonte Klamroth.

Dabei gelte es, sowohl dispositionelle als auch expositionelle Risiken zu berücksichtigen. Ab einem mittleren Risiko ist zusätzlich zu den auch bei niedrigem Risiko indizierten Basismaßnahmen (Frühmobilisation, Bewegungsübungen) eine medikamentöse Thromboseprophylaxe Pflicht.

Konkret besteht laut S3-Leitlinie das im ambulanten Bereich in erster Linie relevante "mittlere Risiko" bei länger dauernden Operationen, bei einer gelenkübergreifenden Immobilisation der unteren Extremität, bei arthroskopischer Gelenkchirurgie der unteren Extremität, außerdem im internistischen Bereich bei akuter schwerer Herzinsuffizienz (NYHA III/IV), bei akuter schwerer COPD, bei akuten Infektionen mit (strikter) Bettlägrigkeit sowie bei stationärer Tumortherapie.

Keine breite Streuung der Prophylaxe

Bei den dispositionellen Risikofaktoren ist es neben den hereditären Thrombophilien und der positiven Thromboembolieanamnese vor allem das Alter, das es zu berücksichtigen gilt.

Liegt die jährliche VTE-Inzidenz bei unter 30-jährigen noch unter 1 pro 10.000 Einwohner, sind es bei über 70-jährigen je nach Studie 2 bis 7 pro 1000, und bei über 80-jährigen 3 bis 12 pro 1000.

Eindeutig nicht empfohlen werden könne eine breite Streuung der Thromboseprophylaxe ohne akuten internistischen oder chirurgischen Anlass, betonte Professor Andreas Tiede von der Abteilung für Innere Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er erteilte damit vor allem den vorbeugenden Injektionen von niedermolekularen Heparinen bei Langstreckenflügen eine klare Absage.

Zwar sei der Langstreckenflug ein Risikofaktor für das Auftreten einer Thrombose. Doch ständen hier der prophylaktische Nutzen und das Risiko von Blutungskomplikationen in keinem sinnvollen Verhältnis.

Lesen Sie dazu auch: Lungenembolie: Welche Antikoagulation für wen?

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