Schwere Erkältungen

Diese Genutationen machen Kinder anfällig

Eine Forschergruppe aus der Schweiz hat Genmutationen entdeckt, die Infektionen der Atemwege bei Kindern schwerer verlaufen lassen. In ihrer aktuellen Studie zeigen die Forscher, wie das funktioniert.

Veröffentlicht:
Husten: Das Gen mit dem Namen IFIH1 spielt bei der körpereigenen Abwehr gegen die wichtigsten Erkältungsviren eine maßgebliche Rolle.

Husten: Das Gen mit dem Namen IFIH1 spielt bei der körpereigenen Abwehr gegen die wichtigsten Erkältungsviren eine maßgebliche Rolle.

© imago

BERN. Im Allgemeinen verlaufen nicht grippebedingte Erkältungen harmlos. Virusinfektionen erfordern jedoch bei zwei Prozent der Kinder jeder einzelnen Generation einen Klinikaufenthalt, teilt der Schweizerische Nationalfonds (SNF) mit.

"20 Prozent der weltweiten Todesfälle bei Kindern gehen auf Atemwegsprobleme dieser Art zurück", wird Jacques Fellay, seit 2011 Inhaber einer Förderungsprofessur des SNF an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), in der Mitteilung zitiert. "Es handelt sich um eine stille Epidemie."

In einer internationalen Studie unter seiner Leitung konnten Forscher nun einen Grund solcher Komplikationen finden: Mutationen in einem Gen, das für die Erkennung bestimmter Erkältungsviren ursächlich ist. (PNAS 2017; online 17. Juli).

"Wir konnten bestätigen, dass ein Gen mit dem Namen IFIH1 bei der körpereigenen Abwehr gegen die wichtigsten Erkältungsviren eine maßgebliche Rolle spielt. Diese Viren verursachen Atemwegsinfektionen bei Kindern", so Fellay. "Im Normalfall ermöglicht dieses Gen die Erkennung der viralen RNA. Es ist uns gelungen, die Mechanismen zu identifizieren, die bei Kindern mit einer IFIH1-Mutation dazu führen, dass ihre Immunabwehr Virusinfektionen nicht effizient greift."

Studie mit 120 Kindern

In Zusammenarbeit mit verschiedenen Spitälern in der Schweiz und in Australien haben die Forscher sich mit Kindern befasst, die nach einer schwerwiegenden viralen Infektion der Atemwege (Bronchiolitis oder Lungenentzündung) intensivmedizinische Betreuung benötigten.

Frühgeborene und Kinder mit chronischen Erkrankungen waren nicht Teil der Studienpopulation. Der Schwerpunkt der Forschungsarbeiten lag auf den genetischen Ursachen. Es zeigte sich, dass 8 der 120 Kinder aus der Studienpopulation Mutationen des Gens IFIH1 aufwiesen.

"Dieses Gen kodiert ein Protein, das die Anwesenheit von bestimmten Erregern von Erkältungskrankheiten wie Respiratorischer-Synzytial-Viren (RSV) oder Rhinoviren erkennt", erklärt Samira Asgari von der EPFL und zuständig für die Entwicklung der Experimente.

"Das betreffende Protein heftet sich an die RNA des Keims. Dort löst es eine Reihe von molekularen Signalen und somit eine effiziente Reaktion des Immunsystems aus." Der Forscherin ist der Nachweis gelungen, dass drei verschiedene Mutationen des IFIH1-Gens das Protein an der Erkennung der Viren hindern und damit die körpereigene Abwehr der Infektionen blockieren.

Fellay hatte schon im Jahr 2015 das Genom von über 2000 Patienten untersucht, um auf statistischem Weg zu belegen, welche genetischen Veränderungen unsere Abwehrkräfte gegen die üblichen Virusinfektionen beeinflussen. "Diese beiden Ansätze ergänzen sich gegenseitig", erklärt Fellay.

Und weiter: "Eine Studie mit einer großen Studienpopulation ermöglicht die Identifikation der beteiligten Gene auf Populationsebene, doch für Einzelpersonen sind diese Variationen weniger wichtig. Eine Studie, die sich auf sorgfältig ausgewählte Patienten beschränkt, bietet die Möglichkeit, seltenere, für die Teilnehmenden aber entscheidendere Mutationen zu erforschen und die maßgeblichen Mechanismen aufzuzeigen."

Vorbeugen und heilen

Die Ergebnisse der Studie könnten sich bei der Erarbeitung neuer Therapieziele sowie in der Prävention als nützlich erweisen: "Auf Wunsch einiger Eltern haben wir auch die Geschwister von Kindern getestet, die eine Genmutation aufwiesen. So lässt sich zeigen, ob diese Kinder ebenfalls anfälliger für Infektionen sind. Im Fall einer Epidemie haben die Eltern nun stichhaltige Gründe, ihre Kinder zu Hause zu behalten. Im Fall einer Erkältung wissen sie, dass sie rasch das Spital aufsuchen sollten."

Für Fellay sind die genannten Arbeiten Musterbeispiele der personalisierten Medizin: "Die Abwehrkräfte unseres Körpers unterscheiden sich von einer Person zur anderen beträchtlich. Wenn wir die genetischen Mechanismen entschlüsseln, die für diese Unterschiede verantwortlich sind, können wir gezieltere Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen ergreifen."

Fellay fügt hinzu: "So könnte man beispielsweise mit einem genetischen Screening bei den üblichen Blutuntersuchungen kurz nach der Geburt auch die Infektionsanfälligkeit bestimmen. Zugleich muss aber in einem gesellschaftlichen Diskurs festgelegt werden, welche Arten von Gentests erwünscht sind und welche nicht." (eb)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Untersuchung von Zi und BARMER

Steigender Krankenstand: An der Tele-AU liegt es auf jeden Fall nicht

Das könnte Sie auch interessieren
Wie Zink das Immunsystem stärken kann

© Tondone | AdobeStock

Risikogruppen schützen

Wie Zink das Immunsystem stärken kann

Anzeige | Wörwag Pharma GmbH & CO KG
Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

© Bionorica SE

Phytoneering-Akademie

Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

Anzeige | Bionorica SE
Antibiotika – Fluch und Segen

Podcast

Antibiotika – Fluch und Segen

Anzeige | Bionorica SE
Brauchen wir noch Antibiotika?

© deepblue4you | iStock

Content Hub

Brauchen wir noch Antibiotika?

Anzeige | Bionorica SE
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Porträts: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Portraits: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Die Schilddrüse tickt in jedem Lebensalter anders

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
Abb. 1: Studie DECLARE-TIMI 58: primärer Endpunkt „kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ in der Gesamtkohorte

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [4]

Diabetes mellitus Typ 2

Diabetes mellitus Typ 2 Präventiv statt reaktiv: Bei Typ-2-Diabetes mit Risikokonstellation Folgeerkrankungen verhindern

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Rett-Syndrom: früh diagnostizieren, Betroffene bestmöglich fördern und Familien entlasten

© Olia / Generated with AI / stock.adobe.com

Neurologische Entwicklungsstörung

Rett-Syndrom: früh diagnostizieren, Betroffene bestmöglich fördern und Familien entlasten

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Acadia Pharmaceuticals (Germany) GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ein Traum für jeden Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes: Eine vollständig automatisierte Insulingabe mit Full-Closed-Loop (FCL)-Systemen dank künstlicher Intelligenz (KI).

© Iryna / stock.adobe.com

KI in AID-Systemen

Diabetes: Vollautomatisierte Insulinpumpen sind im Kommen

Patient mit Hypoglykämie, der seinen Blutzuckerspiegel mit einem kontinuierlichen Blutzuckermesssensor und einer Smartphone-App überwacht.

© martenaba / stock.adobe.com

Trotz Schulung

Die wenigsten Diabetes-Patienten reagieren adäquat auf Hypoglykämie

Mammografie-Screening bei einer Patientin

© pixelfit / Getty Images / iStock

Prävention

Mammografie-Screening: Das sind Hindernisse und Motivatoren