Register ausgewertet

Erhöhtes Demenzrisiko auch nach leichtem Schädel-Hirn-Trauma

Eine retrospektive Studie mit US-Veteranen zeigt, dass selbst Patienten, bei denen ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma ohne Bewusstseinsverlust diagnostiziert wurde, ein um mehr als das Zweifache erhöhtes Demenzrisiko haben.

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Es gibt mehrere Erklärungsmöglichkeiten dafür, wie es nach einem SChädel-Hirn-Trauma zur Demenz, vor allem vom Alzheimer-Typ kommen kann.

Es gibt mehrere Erklärungsmöglichkeiten dafür, wie es nach einem SChädel-Hirn-Trauma zur Demenz, vor allem vom Alzheimer-Typ kommen kann.

© Henfaes / Getty Images / iStock

SAN FRANCISCO. Seit Ende der 1990er-Jahre gibt es epidemiologische Studien zur Entstehung von Demenz nach einem leichten Schädel-Hirn-Trauma (SHT). Studien seit 2017 lassen vermuten, dass es eine Assoziation zwischen Zahl und Schweregrad der SHT und einem steigenden Demenzrisiko gibt. Zwischen den Studien gibt es jedoch eine gewisse Diskordanz. US-Neurologen und Psychiater um Dr. Deborah E. Barnes vom Veterans Affairs Health Care System in San Francisco haben nun zwei Register ausgewertet, um eine zuverlässigere Aussage über den Zusammenhang treffen zu können (JAMA Neurol 2018, online 7. Mai).

Bei den Registern handelt es sich um die National Patient Care Database mit mehr als 328.000 Veteranen, entsprechend 91,7 Prozent der Gesamtgruppe, sowie um die Comprehensive TBI Evaluation Database (CTBIE) mit 12.714 Veteranen, was einem Anteil von 3,6 Prozent entspricht. Für die Studie wurden die Befunde von 178.779 Veteranen mit mindestens einem SHT sowie von gleich vielen Veteranen ohne SHT berücksichtigt.

Bei 9,9 Prozent der Studienteilnehmer waren leichte SHT (Commotio cerebri) ohne und bei 12,9 Prozent leichte SHT mit Verlust des Bewusstseins diagnostiziert worden, bei 30,8 Prozent leichte SHT ohne Infos über Bewusstseinsverlust sowie bei 46,4 Prozent mittelschwere bis schwere SHT. Schädel-Hirn-Verletzungen wurden nach den ICD-9-Kriterien (bis Herbst 2015) diagnostiziert. Bei allen Patienten wurde die Demenz frühestens zwei Jahre nach dem Trauma diagnostiziert.

Wie Barnes und ihre Kollegen berichten, wurde im Studienzeitraum bei 4698 Teilnehmern (2,6 Prozent) der Kontrollgruppe ohne SHT erstmals eine Demenz diagnostiziert. Bei Teilnehmern mit SHT lag der Anteil bei 6,1 Prozent (n = 10.835). Die Wissenschaftler errechneten eine Hazard Ratio (HR) von 2,36 (95%-Konfidenzintervall: 2,10–2,66) für das Demenzrisiko bei Teilnehmern mit leichtem SHT ohne Bewusstseinsverlust.

Nach Berücksichtigung von Alter, Komorbiditäten und psychiatrischen Störungen wie Angststörungen und posttraumatischem Stresssyndrom war die Wahrscheinlichkeit, eine Demenz zu entwickeln, um fast das 2,4-Fache höher als in der Kontrollgruppe ohne SHT.

In der Gruppe mit leichten SHT und Bewusstseinsverlust lag die HR bei 2,51 (95%-Konfidenzintervall: 2,29 – 2,76), in der Gruppe mit leichten SHT ohne Angaben zum Bewusstseinsstatus bei 3,19 (95%-Konfidenzintervall: 3,05–3,33) und bei 3,77 (95%-Konfidenzintervall: 3,63–3,91) in der Gruppe der Teilnehmer mit mittelschwerem bis schwerem SHT.

Nach Angaben der Wissenschaftler gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten dafür, wie es nach einem oder mehreren SHT zur Demenz, vor allem vom Alzheimer-Typ kommen kann. Bereits ein mittelschweres bis schweres SHT könne innerhalb eines halben Jahres zu einer deutlichen Hirnatrophie führen, die dann in den folgenden Jahren fortschreiten könne.

Zudem sei es möglich, dass Schädel-Hirn-Verletzungen neuropathologische Veränderungen auslösen, die Ursache für die Entstehung von Morbus Alzheimer sind. Dazu gehörten die Ablagerung von Tau-Proteinen in Neurofibrillen und Beta-Amyloid in entsprechenden Plaques. Die Wissenschaftler weisen auf eine Studie hin, in der bei 39 SHT-Patienten deutlich mehr Neurofibrillen und Amyloid-Plaques gefunden worden seien als bei Kontrollpersonen ohne SHT.

Die Aussagekraft der Studie wird unter anderem dadurch geschmälert, dass es sich um eine retrospektive Untersuchung handelt, in der Kriterien für Demenz nicht einheitlich angewendet worden waren. Möglicherweise wurde dadurch das Krankheitsbild vor allem in frühen Stadien unterdiagnostiziert. Außerdem lagen keine Informationen über Zahl, Art und Ursache der SHT vor.

Schließlich können die Wissenschaftler nicht sagen, ob die Studienteilnehmer Schädel-Hirn-Verletzungen im militärischen oder nicht militärischen Umfeld erlitten hatten. (ple)

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