HINTERGRUND

Gar kein Hokuspokus: Hypnose bei Op am Kiefer und Gesicht nimmt Angst und spart Lokalanästhetika

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

In der Lübecker Universitätsklinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie werden Patienten regelmäßig unter Hypnose operiert. Geeignet sei die Hypnose prinzipiell für alle Eingriffe, die in Lokalanästhesie vorgenommen werden können, sagt Privatdozent Dirk Hermes. Hypnose nehme nicht nur die Angst vor dem Eingriff. Sie entspannt den Patienten, was die Arbeit des Operateurs erleichtert. Zusätzliche Sedativa und Anxiolytika erübrigen sich.

"Obwohl man im Mund und im Gesicht hervorragend lokal betäuben kann, lassen viele Patienten die Eingriffe in Vollnarkose vornehmen", so Hermes zur "Ärzte Zeitung". Denn die meisten Menschen hätten Angst vor Operationen am Kiefer und Gesicht. Mancher ist aus Ängstlichkeit jahrelang nicht beim Zahnarzt gewesen, was nun eine aufwändige Rundumsanierung mit Zahnreihenextraktionen und Wurzelbehandlungen erforderlich macht. Aber auch Weichteileingriffe im Gesicht möchte man lieber nicht "live" miterleben.

Mehr als 350 Eingriffe in Lübeck unter Hypnose gemacht

Gerade die sehr ängstlichen Patienten lassen sich überraschenderweise besonders gut hypnotisieren. "Hochängstliche Patienten mit starkem Vermeidungsverhalten greifen doch nach jedem Strohhalm, den man ihnen bietet", so Hermes. Schlage man ihnen vor, sich während der Behandlung per Hypnose an einen schönen Strand in der Karibik zu begeben oder auf eine Gebirgswanderung, sei die Motivation, dieses Angebot anzunehmen, sehr hoch. Die Beeinflussbarkeit (Suggestibilität) dieser Personen sei deutlich gesteigert.

    Sehr ängstliche Patienten sind besonders gut hypnotisierbar.
   

Der Lübecker Kieferchirurg hat inzwischen mehr als 350 Eingriffe mit Hilfe von Hypnose vorgenommen, von Zahnextraktionen und Kieferoperationen bis hin zu ausgedehnten Weichteileingriffen im Gesicht, etwa wegen eines Basalioms, oder ästhetischen Operationen. Der Patient wird von ihm angeleitet, sich gedanklich an einen schönen Ort zu begeben, wo er sich maximal entspannen kann. Dies kann durch direkte Interaktion zwischen Arzt und Patient geschehen. Inzwischen gibt es aber auch Hypnose-CD zu kaufen, mit denen die Patienten in Trance versetzt werden.

Diese Trance ist eine aktiv nach innen gerichtete Bewusstseinslage, die äußere Reize weitgehend ausblendet. Der Patient distanziert sich innerlich vom Geschehen im Op-Saal und vom Eingriff selbst. Entgegen landläufiger Vorstellungen bleibt der Patient voll geschäftsfähig, kann also durchaus äußern, wenn er zum Beispiel noch etwas mehr Lokalanästhesie braucht. Mancher erkundige sich zwischendurch auch mal, wie weit denn die Arbeit gediehen sei, bevor er sich wieder "zurück an den Strand" begebe, berichtet Hermes.

Der Chirurg hat sich selbst in Hypnose mehrere Weisheitszähne ziehen lassen. "Dabei haben mir meine lieben Kollegen ein paar Mal richtig weh getan." Doch nehme man die Schmerzen lediglich mit einer gewissen Verwunderung zur Kenntnis. Der psychische Aspekt der Schmerzwahrnehmung fällt durch die innerliche Distanz zum Geschehen weg. "Bei nicht-hypnotisierten Patienten muss ich während der Operation fast immer Lokalanästhetikum nachspritzen, bei hypnotisierten Patienten fast nie", so Hermes’ Erfahrung. Sedativa und Anxiolytika werden ganz eingespart. Damit erhöhe die Hypnose nicht nur den Komfort für die Patienten, sondern sie könnten gegebenenfalls auch direkt nach dem Eingriff nach Hause entlassen werden.

Ohne fundierte Ausbildung in Hypnose geht es nicht

Hermes beschäftigt sich auch wissenschaftlich mit der Hypnose und kann auf mehrere eigene Studien verweisen. Bei 98 Prozent seiner Patienten bestünden keine Kontraindikationen gegen eine begleitende Hypnose, etwa psychische Erkrankungen, Drogen- oder Alkoholabhängigkeit. Außerdem haben er und seine Mitarbeiter das Angstniveau prä-, intra- und postoperativ bestimmt. So stellte er mit Hilfe eines etablierten Fragebogens zur Ermittlung des Angstniveaus (Stait-Trait-Angstinventar) fest, dass bei nicht- hypnotisierten Patienten die Angst unmittelbar vor Beginn des Eingriffs bei 48 von 80 Punkten (maximale Angst) lag, was sich intraoperativ kaum änderte (46 Punkte). In der Hypnose-Gruppe fiel dagegen der Angstscore von unmittelbar präoperativ 50 Punkten signifikant auf 39 Punkte intraoperativ (Focus MUL 23, 2006, 149).

Das Image der Hypnose ist schlecht. Das hat Hermes in der Anfangszeit ebenfalls zu spüren bekommen, etwa wenn Kollegen seinen "Hokuspokus" ablehnten. Nach wie vor ist er der einzige in der Lübecker Klinik, der die Hypnose praktiziert. Dies liege allerdings auch an der erforderlichen fundierten Ausbildung, die zeit- und kostenintensiv ist: 100 Stunden Grundausbildung sowie regelmäßige Supervisionen.

Weitere Informationen und Links zu Hypnose-Fachgesellschaften unter: www.hypnose.de



STICHWORT

Hypnose

Unter Hypnose werden Techniken verstanden, mit denen eine Bewusstseinsmodifikation herbeigeführt werden kann, entweder durch den Therapeuten (Heterosuggestion) oder durch das Individuum selbst (Autosuggestion). Die Aufmerksamkeit wird aktiv auf bestimmte Inhalte fokussiert, andere Reize werden ausgeblendet. Die oberflächliche Hypnose ist dem Wachzustand ähnlich. Eine tiefe Hypnose kann mit posthypnotischer Amnesie einhergehen. Mehr als 80 Prozent der Menschen werden als trancefähig eingeschätzt. Nur fünf Prozent aller Individuen gelten als nicht hypnotisierbar. (ner)

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