Impfstoff nach elf Monaten

COVID-Vakzine: Warum der Turbo gelang

Entwicklung, Zulassung und Produktion von COVID-19-Impfstoffen war ein einmaliger Kraftakt forschender Unternehmen und der Zulassungsbehörden. Mitentscheidend war, dass die in den letzten 20 Jahren erforschte mRNA-Technologie gerade jetzt marktreif geworden ist.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Labormitarbeiter bei der Herstellung des Impfstoffs Comirnaty in der BioNTech-Produktionsstätte in Marburg.

Labormitarbeiter bei der Herstellung des Impfstoffs Comirnaty in der BioNTech-Produktionsstätte in Marburg.

© Michael Probst / ASSOCIATED PRESS / picture alliance

Berlin. Binnen elf Monaten nach Ausbruch der Corona-Pandemie stand Ende Dezember der erste zugelassene Impfstoff zur Verfügung – eines von insgesamt 275 Impfstoff-Projekten weltweit. Höchstens zehn Prozent dieser Projekte, so Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Pharma-Unternehmen bei der Handelsblatt-Tagung Pharma 2021, werden erfolgreich sein.

Die rasche Verfügbarkeit von Impfstoffen – zugelassen sind derzeit vier – ist auch glücklichen Umständen geschuldet: der Expertise und Erfahrung aus der Erforschung von SARS-CoV-1 und MERS in den 2000er Jahren sowie der rund 20-jährigen Forschungsarbeit an der mRNA-Technologie, die erst seit jüngster Zeit marktreif ist. „SARS-CoV und MERS sind eine Warnung, dass wir auch zukünftig mit ernsten neuen Infektionen rechnen müssen“, so Steutel.

Weltweit sei inzwischen eine Produktionskapazität von fünf Milliarden Impfdosen aufgebaut worden, allein BioNTech werde in diesem Jahr 2,5 Milliarden Dosen produzieren können. Dieses „einmalige Tempo“ wäre auch durch Zwangslizenzen nicht zu beschleunigen gewesen, so Steutel.

Die Innovationsfähigkeit und die Entwicklung neuer Impfstoffe binnen kürzester Zeit zeige, dass die forschende Industrie keine Subventionen brauche, wohl aber Rückenwind: Die Beteiligung deutscher Patienten an klinischen Studien sei unterdurchschnittlich, ursächlich seien Hemmnisse des Datenschutzes und der Genehmigung klinischer Studien. Das Ziel müsse sein, Deutschland wieder zur Nummer 1 in der klinischen Forschung zu machen.

Herausforderung Pharmakovigilanz

Auch die Zulassungsbehörden in der EU und in den USA hätten alles unternommen, die Prüfung der klinischen Studien in adaptiven Verfahren zu beschleunigen, so PEI-Präsident Professor Klaus Cichutek. Weltweit sei die Zulassung in zweiwöchentlich stattfindenden Konferenzen der Regulatoren koordiniert worden.

275 Impfstoff-Projekte gibt es nach Angaben von vfa-Präsident Han Steutel aktuell weltweit. Vermutlich nur jedes zehnte dieser Forschungsvorhaben werde am Ende erfolgreich sein.

Die schon vor einiger Zeit vom PEI entwickelte frühe Beratung für Grundlagenforschung und Herstellung zur Vorbereitung von klinischen Prüfungen und Zulassung sei noch einmal beschleunigt worden. Beratungstermine, deren Realisierung üblicherweise zwei bis drei Monate dauern, seien innerhalb von zwei bis drei Tagen anberaumt worden. Dazu seien sehr viele Mitarbeiter auf die Impfstoffzulassung konzentriert worden.

Hilfreich sei auch die Flexibilität der Legislative gewesen, mit der dem PEI die erforderliche Finanzierung möglich wurde. Die nun anstehende Herausforderung sei die Pharmakovigilanz, bei der es vor allem darauf ankomme, extrem seltene unerwünschte Wirkungen bei einem milliardenfachen Einsatz zu finden und diese vom üblichen Krankheitsgeschehen zu differenzieren.

Die Kosten der Entwicklung des mRNA-Impfstoffs bezifferte BioNTech-Finanzvorstand Dr. Sierck Pötting auf etwa eine Milliarde Euro seit 2008. Ohne die Kooperation mit Pfizer wäre es jedoch nicht gelungen, binnen weniger Monate eine Zulassung zu erhalten und die Produktionskapazität auf 2,5 Milliarden Dosen in diesem und drei Milliarden Dosen im nächsten Jahr zu schrauben. Dabei sei zu bedenken, dass BioNTech vor Start in die Zulassung nur im Gramm-Bereich Impfstoff produziert habe.

Der Startschuss für die Kooperation zwischen Pfizer und BioNTech sei im Februar 2020 gefallen, mit dem Ziel, die Kompetenzen zu bündeln, so Pfizer-Deutschland-Chef Peter Albiez. Wichtige Stärken von Pfizer seien Kapazitäten in der Produktion sowie stabile Lieferketten für Vorprodukte gewesen. Als Vorteil habe sich erwiesen, das der Herstellungsprozess von mRNA-Impfstoff weniger als 60 Tage erfordert – die Hälfte der Produktionsdauer für Grippevakzine. Das hohe Maß an Digitalisierung schlage sich in vier Kompetenzen nieder:

  • Die Anwendung von Augmented Reality in der Produktion, die es ermöglicht, Fehlfunktionen im Herstellungsprozess aus der Ferne zu diagnostizieren und zu reparieren.
  • Die rasche Rekrutierung von über 46.000 Studienteilnehmern in weltweit 153 Studienzentren sowie die rasche Auswertung komplexer Daten und deren Aufbereitung für die Zulassungsinstanzen.
  • Die sichere Distribution mit speziellen Transportboxen, in denen Sensoren permanent die Kühltemperatur messen und in Echtzeit übermitteln.
  • Die Vereinbarung mit Israel, in Kombination mit einer frühzeitigen Großbestellung im Gegenzug umfassende Real-World-Daten zur Wirksamkeitsprüfung unter Realbedingungen und zur Pharmakovigilanz innerhalb kürzester Zeit zu erhalten. Albiez: „Das hat der ganzen Welt genützt und sollte Vorbild für künftige Datenverfügbarkeit sein.“
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