Fachärztetag

Sektorengrenzen – vor allem Gegenstand von Gedankenspielen

Hybride Versorgung über die Sektorengrenzen hinweg findet in den Fraktionen des Bundestages viel Zustimmung. Die konkreten Projekte liegen allerdings auf Eis.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Jeder Sektor hat eigene Interessen, oft auch die von Kapitalgebern und weniger die von Ärzten: Dietrich Monstadt, CDU-Bundestagsabgeordneter.

Jeder Sektor hat eigene Interessen, oft auch die von Kapitalgebern und weniger die von Ärzten: Dietrich Monstadt, CDU-Bundestagsabgeordneter.

© Deutscher Bundestag

Berlin. Die sektorenübergreifende Versorgung kranker Menschen geistert seit Jahrzehnten durch die gesundheitspolitischen Diskussionen. Auf Durchbrüche bei der Neuorganisation der Versorgungsbereiche warten Ärzte und Patienten aber nach wie vor. In der laufenden Legislaturperiode sollte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eigentlich tragfähige Vorschläge liefern. Mehr als vorläufige Arbeitspapiere sind dabei – möglicherweise auch coronabedingt – bislang nicht herausgekommen. Und wahrscheinlich ist mit mehr auch nicht mehr zu rechnen.

„Die Arbeitsgruppe kommt bei entscheidenden Schritten nur langsam voran“, sagte der Unions-Gesundheitspolitiker Dietrich Monstadt bei einer Diskussionsveranstaltung auf dem „Fachärztetag“ des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands (Spifa) am Freitag in Berlin. Mit der Reform der Notfallversorgung hängt ein weiteres sektorenübergreifendes Projekt in der Warteschleife. Auch dafür konnte der Angehörige einer Regierungsfraktion nur berichten, dass der Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums dazu weiterhin „abgestimmt“ werde. Die SPD hatte sich kurzfristig entschuldigen lassen und keinen Vertreter entsandt.

Monstadt mahnt zu Bedachtsamkeit

Immerhin: Der vom Gesundheits-Sachverständigenrat aufgeworfene Gedanke, etwa 2600 medizinische Leistungen, die sowohl ambulant als auch stationär erbracht werden können, auch gleich zu vergüten, stieß bei den anwesenden Gesundheitspolitikerinnen und –politikern auf Zustimmung. Der Spifa hat daraus ohnehin schon ein Konzept für „hybride Versorgung“ geschmiedet.

Gleichwohl mahnte Monstadt zu langsamer Gangart. „Jeder Sektor hat eigene Interessen, oft auch die von Kapitalgebern und weniger die von Ärzten“, sagte Monstadt. Die Umsetzung der sektorenübergreifenden Versorgung falle daher schwer. Eventuell seien neue Generationen von Ärzten eher dazu bereit, in neuen Modellen zu denken.

Kessler fordert MVZ-Umbau

Der Hinweis auf Kapitalinteressen in der Versorgung wurde vom gesundheitspolitischen Sprecher der Linksfraktion Dr. Achim Kessler gerne aufgegriffen. Diese seien vor allem bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) aktiv. Die Politik solle den Mut aufbringen, die MVZ zu Einrichtungen auf der Basis von regionaler Gesundheitsplanung umzubauen. Dort solle vor allem Primärversorgung mit der Möglichkeit, Kurzlieger unterzubringen, stattfinden. Für einen solchen Schritt müsse man die Kommunen zur Finanzierung mit ins Boot holen.

Ein hybrider Versorgungsbereich, wie ihn der Spifa vorschlage sei ein guter erster Vorschlag, sagte Dr. Robby Schlund von der Fraktion der (AfD). Er sollte einmal „ausprobiert“ werden, um die Kritiker stummzuschalten. Für die Daseinsvorsorge präferiere er eine Verstaatlichung von Krankenhäusern auf dem Land, sagte der Orthopäde.

Grüne wollen Gesundheitsregionen

Eine regional ausgerichtete Herangehensweise an die sektorenübergreifende Versorgung diskutierte Kirsten Kappert-Gonther, Obfrau der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Gesundheitsausschuss. Des Bundestages. Um schrittweise das grüne Konzept von Gesundheitsregionen umsetzen zu können, sollte zunächst der Bedarf an gesundheitlicher Daseinsvorsorge in einer Region definiert werden. Es müsse nicht zwingend gleich mitdefiniert werden, welche Leistungserbringer in welcher Trägerschaft diesen Bedarf abdecken sollten. Grundsätzlich schadeten die Sektorengrenzen chronisch Kranken, sagte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

Klar für Änderungen an den Sektorengrenzen sprach sich auch Christine Aschenberg-Dugnus aus, die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Dafür gelte es das Denken in Sektoren abzubauen, die „stark der ökonomischen Steuerung“ des Gesundheitswesens dienten. „Bei allem, was wir tun und verbessern wollen, denken wir in den alten Sektoren. Das ist das größte Hindernis, zu einem Ergebnis zu kommen“, betonte Aschenberg-Dugnus. Selbst bei Plänen zur Vernetzung von Akteuren des Gesundheitswesens werde immer in den Grenzen der Sektoren gedacht und gehandelt. Das Spifa-Konzept der hybriden Versorgung verdiene daher Aufmerksamkeit, sagte Aschenberg-Dugnus.

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