Symptomchecker unter der Lupe

KI statt Arzt – oder Hilfe für den Arzt?

Kann Künstliche Intelligenz einen Teil der Primärversorgung übernehmen? Sehr weit weg sind wir von einem solchen Szenario offensichtlich nicht mehr. Einen ersten Schritt in die Versorgungswirklichkeit hat zuletzt Ada Health gemacht. Was kommt da auf Ärzte zu? Oder könnte eine solche App mit KI ihnen vielleicht sogar helfen?

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:
Sprechen kann Ada noch nicht, aber wie ein lebendiges Gegenüber führt das Programm Anwender durch ihre Symptome, bis die Diagnose möglich ist. Ada kann auch Ärzten helfen, Diagnosen zu stellen.

Sprechen kann Ada noch nicht, aber wie ein lebendiges Gegenüber führt das Programm Anwender durch ihre Symptome, bis die Diagnose möglich ist. Ada kann auch Ärzten helfen, Diagnosen zu stellen.

© Getty Images/iStockphoto

Die Meldung war eine kleine Sensation: Die Techniker Krankenkasse ermöglicht ihren Versicherten einen „Symptomcheck ohne Termin“ per Smartphone – mit der App des Health-Start-ups Ada Health, ab 2019 sogar in der kasseneigenen TK-Doc-App. Wenn sie auf diese Weise mehr über die mögliche Ursache vorliegender Symptome erfahren haben, können Patienten dann weitere digitale Angebote der TK nutzen, bis hin zum Videochat mit einem Arzt, der bei der Versicherung arbeitet.

Vor allem Letzteres schreckte viele Ärzte auf: Von einer „Grenzüberschreitung“ sprach der Hartmannbund-Vorsitzende Dr. Klaus Reinhardt. Das Gesundheitssystem gerate in Schieflage, wenn den niedergelassenen Ärzten und ihren Kollegen in den Kliniken nur die Rolle der Zweitmeinungslieferanten bliebe, sagte Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV Virchow-Bundes.

Bemerkenswert an der Diskussion: Die Ärzte griffen nicht die technische Innovation selbst, also die App Ada Health, an, sondern nur das Modell, nach dem ein Kostenträger plötzlich die Rolle des Leistungserbringers gleich mit übernimmt. Das sei eine zu enge Verquickung ökonomischer Interessen der Kasse – nämlich die Behandlungskosten zu reduzieren – mit dem Einsatz einer technischen Innovation, wie Reinhardt ausführte.

Ada Health – Was steckt dahinter?

Ada Health, gegründet 2011 in Berlin, ist weltweit eine der erfolgreichsten Gesundheitsapps der vergangenen zwei Jahre. Die Nutzerzahlen stiegen in dieser Zeit rasant von null auf mehr als fünf Millionen an. Acht Millionen Symptomchecks sind über Ada Health bisher gemacht worden.

Doch was ist das Besondere an der App? Es klingt ganz einfach: Ada sei eine „wissensbasierte Intelligenz“, zu der Patienten über ihr Smartphone Kontakt aufnehmen können, sagt Dr. Martin Hirsch, Mitgründer und Chief Scientific Officer von Ada Health, in einem Video aus Anlass der Veröffentlichung der TK. Diese Intelligenz hilft Menschen inzwischen in mehreren Sprachen (unter anderem Englisch, Deutsch, Portugiesisch, Spanisch und Französisch), ihre Symptome zu verstehen und die passende Behandlung zu finden. Die Nutzung der App (für Apple- und für Android-Endgeräte) ist kostenlos.

Ada habe alles Wissen im Internet zu Krankheiten an einem Platz zusammengeführt, erläutert Hirsch weiter. Und dieses Wissen wird über KI erschlossen und nicht wie bei „Dr. Google“ in kleinen Häppchen ohne Vorauswahl dem medizinischen Sachverstand eines Patienten präsentiert.

Wenig spektakulärer Dialog

„Hallo Hauke. Ich bin hier, um zu helfen. Starte einfach einen neuen Fall.“ – Wer Ada konsultiert, wird wenig spektakulär, aber zielgerichtet empfangen. Die Nutzerführung ist ganz einfach. Mit dem Fall startet ein Dialog zwischen Ada und dem Nutzer, der ähnlich abläuft wie ein anamnestisches Gespräch zwischen Arzt und Patient. Ada fragt: „Um wen geht es, den angemeldeten Nutzer oder jemand anderen?“ – Das Programm will wissen, ob Mann oder Frau, Jung oder Alt am Smartphone sitzt.

Der eigentliche Symptomcheck beginnt dann mit der Frage: „Was beschäftigt Dich am meisten?“ Es schließen sich die üblichen Fragen an: Wo genau und wie lange treten zum Beispiel Schmerzen in einem Körperteil auf? Wie wirkt sich körperliche Aktivität aus? Wie intensiv sind die Schmerzen?

Milliarden von Konstellationen

Im Hintergrund durchsucht Adas KI eine medizinische Datenbank nach den wahrscheinlichsten Krankheiten, wobei sie Milliarden von Symptomkonstellationen berücksichtige. Am Ende nennt die App dann unterschiedliche Diagnosen mit errechneten Wahrscheinlichkeiten aufgrund des Symptombilds – und empfiehlt, einen Arzt oder gar die Notaufnahme aufzusuchen.

Falls ein Arzt nichts tun könnte oder keine Dringlichkeit vorliegt – etwa bei viraler Grippe –, schreibt Ada auch das dem Patienten aufs Smartphone. Zumindest potenziell – wenn viele Patienten die App nutzen und sich an ihre Empfehlungen halten – könnte Ada damit dazu beitragen, die in Städten chronisch überfüllten Notaufnahmen und Bereitschaftsdienste zu entlasten.

Doch nicht nur für Patienten ist die App gemacht: „Ada unterstützt auch Ärzte bei ihrer Diagnosenstellung“, sagt Daniel Nathrath, Gründer und CEO von Ada Health, auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“. Das könne Ärzten bereits heute „eine enorme Arbeitserleichterung sein“. Und Dr. Martin Hirsch ergänzt: „Es gibt 20.000 Krankheitsbilder, 8000 Symptome, medizinische Tests und so weiter. Und jedes Krankheitsbild setzt sich aus 80, 100 oder sogar 400 Symptomen zusammen. Dafür sind menschliche Gehirne einfach nicht gebaut.“

Vor allem bei seltenen Erkrankungen könne Ada daher auch Ärzten relativ schnell wertvolle Hinweise geben, was hinter bestimmten Symptomen stecken könnte. Man arbeite daran, die Bedürfnisse von Ärzten „noch spezifischer als bisher zu berücksichtigen“, heißt es. Durch eingebaute Feedback-Schleifen lerne die KI immer weiter dazu. 40 Mitarbeiter aus verschiedensten medizinischen Berufen und Fachrichtungen ergänze zudem ständig medizinische Inhalte.

Kostenlos für jedermann

Ziel des Unternehmens sei es, so heißt es, „dass jeder Mensch Zugang zu qualitativ hochwertigen personalisierten Gesundheitsinformationen hat“. Deshalb sei die Symptomanalyse kostenlos. Für das Projekt erhielt Ada Health 2,5 Millionen Euro Zuschuss aus dem Horizont-2020-Programm der EU, vor einem Jahr gab es eine Start-up-Finanzierung in Höhe von 40 Millionen Euro durch Investoren. Ada solle die „Alexa des Gesundheitswesens werden“, hieß es damals.

Optionen, Geld zu verdienen gibt es also, trotz des kostenlosen Symptomchecks. Ada habe eine „Vielzahl von Möglichkeiten zu wachsen, sowohl in Deutschland als auch international“, heißt es dazu vom Unternehmen. Hierfür arbeite Ada unter anderem mit Gesundheitsdienstleistern und Krankenkassen zusammen.

Konkurrenz für Ärzte oder Unterstützung im Datenmeer? Schneller Zugang zu ärztlicher Expertise für Patienten oder Gefahr, Patienten im Moment der Diagnose allein zu lassen? KI schafft neue Werkzeuge für den Versorgungsalltag, wer sie für wen wie gut nutzt, ist noch lange nicht ausgemacht.

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