Forscher suchen neue Therapien bei Reizdarm

TÜBINGEN (ars). In der westlichen Welt haben 15 bis 20 Prozent der Menschen ein Reizdarm-Syndrom. Trotz der großen Verbreitung gibt es bisher nur wenige Medikamente, die zudem nicht allen Patienten helfen. In vielen Labors suchen Forscher deshalb neue Strategien.

Veröffentlicht:

Das Nervensystem im Darm sei fast so komplex sei wie das im Gehirn, erinnerte Dr. Michael Schemann aus Weihenstephan bei einer Fortbildungsveranstaltung in Tübingen. Deshalb sei es so schwierig, ein Medikament gegen das Reizdarm-Syndrom zu entwickeln. Auch im Darm habe jede Population von Nervenzellen eine eigene Funktion, eigene Transmitter und Rezeptoren. Daher genüge es vermutlich nicht, sich für eine Therapie ein einzelnes Ziel auszusuchen, zum Beispiel bestimmte Serotonin-Rezeptoren zu aktivieren oder andere zu hemmen.

"Jedoch ist der Serotonin-Stoffwechsel als Angriffspunkt eines Medikamentes nicht aus der Diskussion", so Schemann. Je nach Art des Serotonin-Rezeptors, der durch einen Wirkstoff aktiviert oder gehemmt wird, werde eher die Diarrhoe oder die Obstipation gelindert.

Sympathomimetika werden bei Diarrhoe geprüft

Eine weitere Möglichkeit für die Therapie sind Antibiotika: So wurde in einer Studie nachgewiesen, daß sie die Symptome lindern, in dem sie vor allem die Gasbildung vermindern. Einen ähnlichen Effekt habe nach neuen Ergebnissen auch eine Diät mit wenig Ballaststoffen. Sympathomimetika könnten ebenfalls die Beschwerden mildern: Alpha-2-Agonisten wie Clonidin zum Beispiel helfen nach Daten einiger Studien besonders beim Reizdarm-Syndrom vom Diarrhoe-Typ.

Melatonin ist ein weiterer Kandidat für eine Therapie. Zwei Forschergruppen zeigten auf der Veranstaltung, zu der Boehringer Ingelheim eingeladen hatte, Daten: Mit Melatonin klingen demnach vor allem die Schmerzen ab. Melatonin gehört zu jenen Hormonen, die von den enterochrom-affinen Zellen im Darm ausgeschüttet werden.

Neu in den Blickpunkt der Forscher ist der Corticotropin-Releasing-Factor (CRF) gerückt, der ebenfalls nicht nur im Gehirn, sondern auch im Darm gebildet wird. Wie sich herausgestellt hat, ist bei Patienten mit Reizdarm der basale Spiegel dieses Hormons niedrig, nach Streß steigen die Werte, was mit Durchfall und krampfartigen Darmkontraktionen einhergeht. Deshalb propagieren viele Arbeitsgruppen CRF-1-Antagonisten als neue Methode, um die neuroendokrine Achse bei Streß- und Angst-induziertem Reizdarm zu dämpfen.

Zwischen sieben und 33 Prozent der Reizdarm-Patienten haben eine Infektion als Ursache der Erkrankung. Auch für diese Patienten bestehe Aussicht auf eine Therapie. Zu den Befunden gehört eine erhöhte Zahl von enterochrom-affinen Zellen sowie von Lymphozyten in der Darmschleimhaut, und zwar noch lange nach der Infektion. Ebenso wie bei Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa überwiegen die proinflammatorischen Zytokine im Vergleich zu den antiinflammatorischen Mediatoren, und zudem ist der Serotonin-Wiederaufnahme-Mechanismus gestört.

Blockade der Substanz P bei postinfektiösem Reizdarm

Die Blockade von Substanz P ist eine weitere zukunftsträchtige Taktik bei postinfektiösem Reizdarm-Syndrom. Denn bei diesen Patienten sind die Spiegel der Substanz P erhöht, und zwar in Korrelation zur viszeralen Hypersensivität. Ausgeschüttet wird Substanz P zum Beispiel über die Capsaicin-Rezeptoren, das sind Schmerzrezeptoren, die auf Substanzen in scharf gewürzte Speisen ansprechen.

Darüber hinaus kommen nach Schemanns Angaben als Wirkstoffe gegen Reizdarm-Beschwerden Agonisten von Cannabinoid-1- und -2- Rezeptoren, Blocker von Histamin-3- und -4-Rezeptoren, COX-Hemmer und Steroide in Betracht. Therapieversuche mit Steroiden seien bisher erfolglos. Allerdings haben Steroid-behandelte Patienten mit Asthma ein erniedrigtes Risiko für einen Reizdarm.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Porträts: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Portraits: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Die Schilddrüse tickt in jedem Lebensalter anders

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
Abb. 1: Studie DECLARE-TIMI 58: primärer Endpunkt „kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ in der Gesamtkohorte

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [4]

Diabetes mellitus Typ 2

Diabetes mellitus Typ 2 Präventiv statt reaktiv: Bei Typ-2-Diabetes mit Risikokonstellation Folgeerkrankungen verhindern

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Abb. 1: Phenylketonurie – Phenylalanin-Zielwerte und Monitoring während der Lebensphasen

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [2, 3]

Enzymersatztherapie der Phenylketonurie

Pegvaliase: anhaltendes Ansprechen, flexiblere Ernährung

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: BioMarin Deutschland GmbH, Kronberg am Taunus
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Arzt untersuch das Knie eines Patienten

© gilaxia / Getty Images / iStock

Interview mit Leitlinien-Koordinator

Gonarthrose-Therapie: „Nur wenige Maßnahmen wirken“