Interview

"Hyperurikämie ist ein eigenständiger Risikofaktor"

Die Hyperurikämie wird zunehmend als unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor gesehen. Unklar sind die kardiovaskulären Effekte der Harnsäuresenkung. Die Ärztin Dr. Anne-Kathrin Tausche von der Medizinischen Klinik III des Universitätsklinikum Dresden hat dazu eine Studie gemacht.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

Dr. Anne-Kathrin Tausche

'Hyperurikämie ist ein eigenständiger Risikofaktor'

© Privat

Position: Seit 2011 Leitung der Abteilung Klinische Studien, Rheumatologie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik III des Universitätsklinikums „Carl Gustav Carus“ an der TU Dresden.

Forschungsschwerpunkt:Klinische Forschung im Bereich Gicht.

Karriere: Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten; hier hat sie sich unter anderem mit autologen Keratinozyten befasst, bevor sie in die Rheumatologie wechselte.

Ärzte Zeitung: Ist die Hyperurikämie ein unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Die Hinweise darauf verdichten sich immer mehr. Erst vor wenigen Monaten wurden erneut Daten einer großen Kohorte publiziert. Bei knapp 16.000 Patienten aus der NHANES-Studie gab es nach Adjustierung für alle anderen kardiovaskulären Risikofaktoren ab etwa 7 mg / dl eine signifikant höhere Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität.

Das galt sowohl für die asymptomatische Hyperurikämie als auch für Gichtpatienten, wobei das Risiko bei den Gichtpatienten etwas höher ist. Das weist die Hyperurikämie als einen eigenständigen Risikofaktor aus, zumal es andere Arbeiten gibt, die Ähnliches zeigen.

Trotzdem werden harnsäuresenkende Medikamente oft abgesetzt...

Tausche: Ja. Im Bemühen, dem polymedizierten Patienten die Medikationsliste zu kürzen, wird oft als erstes das harnsäuresenkende Präparat abgesetzt, besonders wenn die Harnsäurewerte wieder normal sind oder weil schon lange keine Gichtanfälle mehr auftreten.

Was weiß man über die Wirkung von Harnsäure auf die Blutgefäße?

Tausche:Zum einen scheint Harnsäure direkte Effekte am Blutgefäß zu haben, die noch nicht so richtig erforscht sind. Bei der Harnsäurekristallablagerung lösen die Kristalle zweitens eine chronische Entzündung aus, die ungünstig für die Blutgefäße ist.

Der dritte Faktor ist, dass eine Harnsäureerhöhung auch Ausdruck einer erhöhten Aktivität des Schlüsselenzyms, der Xanthinoxidase ist.

Dieses Enzym ist bei der Bildung der Harnsäure aktiv, und wenn es arbeitet, entstehen viele Radikale, die auf dem Weg über eine Verringerung des Stickstoffmonoxids zu Gefäßverengung und Gefäßsteifigkeit führen. Letztere kann man zum Beispiel mit Hilfe der Pulswellengeschwindigkeit (PWV) messen.

Sie haben in einer kleinen Studie bei 17 Gichtpatienten die PWV gemessen. Was war das Ziel?

Tausche: Wir wollten wissen, ob es hinsichtlich der PWV einen Unterschied macht, ob die Harnsäure mit Allopurinol oder Febuxostat gesenkt wird. Dazu haben wir in beiden Gruppen so therapiert, dass ein Harnsäureziel von 6 mg / dl erreicht wird. Dazu waren im Mittel 460 mg Allopurinol bzw. 90 mg Febuxostat nötig.

Vor Beginn der Therapie und nach einem Jahr haben wir die PWV gemessen. Wichtig ist, dass das schwer kranke Gichtpatienten waren, bei denen die PWV schon deutlich erhöht war.

Tatsächlich fanden wir einen Unterschied. Die PWV blieb in der Febuxostat-Gruppe stabil, was für die in dieser Gruppe häufiger in ihrer Nierenfunktion eingeschränkten Patienten sehr bedeutsam ist. In der Allopurinol-Gruppe wurde sie signifikant schlechter.

Wie erklären Sie sich das?

Tausche: Wir haben zusätzlich noch Entzündungsparameter und Biomarker für oxidativen Stress bestimmt, und die liefern einen Erklärungsansatz. Febuxostat hemmt die Xanthinoxidase sterisch und setzt sie damit außer Gefecht, während Allopurinol selbst ein Purin ist und das Enzym zwar blockiert, es aber nicht inaktiviert. Das Resultat ist, dass die Produktion schädlicher Radikale weitergeht, während sie bei Febuxostat-Behandlung annehmbar blockiert wird.

Direkt messen kann man das zwar nicht. Indirekte Surrogatparameter, wie zum Beispiel die Aktivität der NADPH-Oxidase, zeigten in der Febuxostat-Gruppe aber einen signifikanten Abfall. Dies war in der Allopurinol-Gruppe nicht der Fall.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Tausche: Es sind bisher nur Hinweise, dass eine Behandlung mit Febuxostat auch positive Wirkungen auf die Gefäße haben könnte. Zufällig wurde Ähnliches bei einer randomisierten Studie bei Patienten mit einer Hyperurikämie gefunden.

Die NU-FLASH-Studie zeigte eine signifikante Besserung der PWV unter Febuxostat-Therapie. Letztlich braucht man für definitive Empfehlungen natürlich größere prospektive, randomisierte Studien mit kardiovaskulären und Mortalitätsendpunkten.

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