ADHS ist auch ein Problem bei Erwachsenen

Etwa die Hälfte der Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung) hat diese Störung auch noch als Erwachsene. Die Betroffenen leiden unter zum Teil erheblichen krankheitsbedingten Einschränkungen ihrer Alltagsfähigkeiten. Durch medikamentöse und psychotherapeutische Maßnahmen lassen sich die Symptome vermindern.

Veröffentlicht:

Esther Sobanski und Barbara Alm

Die Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist durch Störungen der Impulskontrolle, eine motorische Überaktivität und / oder Störungen der Aufmerksamkeit gekennzeichnet. Lange Zeit ging man davon aus, daß die Erkrankung ausschließlich bei Kindern und Jugendlichen auftritt.

Mehrere voneinander unabhängige prospektive Untersuchungen wiesen jedoch bei bis zu 50 Prozent der betroffenen Kinder eine Fortdauer der Störung auch als Erwachsene nach. Querschnittsuntersuchungen konnten belegen, daß auch Erwachsene mit ADHS unter erheblichen, störungsbedingten Einschränkungen ihrer Alltagsfähigkeiten leiden. Entsprechend den Ergebnissen einer US-amerikanischen epidemiologischen Untersuchung liegt die Prävalenz der ADHS bei Erwachsenen (18 bis 44 Jahre) bei etwa vier Prozent.

Die 2003 von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) veröffentlichten Leitlinien "ADHS im Erwachsenenalter" empfehlen, eine Behandlung der Erkrankung dann zu beginnen, wenn in einem Lebensbereich ausgeprägte oder in mehreren Lebensbereichen leichte krankheitswertige Störungen bestehen, die eindeutig auf eine ADHS zurückgeführt werden können.

Bei der Erstellung eines Behandlungsplans ist zu beachten, daß sich mit einer medikamentösen Therapie in erster Linie die Kernsymptomatik beeinflussen läßt: Impulsivität und Hyperaktivität werden vermindert, die Aufmerksamkeit wird verbessert. Dagegen kann mit einer störungsspezifischen Psychotherapie unmittelbar an den Alltagsfunktionen wie Arbeitsverhalten, Selbst- und Alltagsorganisation der Patienten gearbeitet werden. Häufig erbringt aber erst die Kombination von Pharmako- und Psychotherapie einen wesentlichen Behandlungserfolg.

Bei Erwachsenen mit ADHS ist Methylphenidat erste Wahl

In Deutschland ist bislang kein Medikament zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS zugelassen. Daher muß die Therapie "Off-Label" im Rahmen eines "individuellen Heilversuchs" bzw. "bestimmungsmäßigen Gebrauchs" erfolgen. Da derzeit in Deutschland die Wirksamkeit von Methylphenidat-Präparaten in Studien bei Erwachsenen mit ADHS geprüft wird, ist zu erwarten, daß die Substanz mittelfristig auch zur Behandlung dieser Patienten verordnet werden kann.

Zur Therapie von Erwachsenen mit ADHS sind in anderen Ländern mehrere Psychostimulantien, wie Methylphenidat (MPH) und Amphetaminsalze, und Atomoxetin zugelassen.

MPH ist bei Erwachsenen das Medikament der ersten Wahl. Die Wirksamkeit bei Erwachsenen ist in mehreren doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studien nachgewiesen worden, die Responderraten betrugen hier bis zu 75 Prozent. MPH ist in Deutschland unretardiert mit einer Wirkdauer von etwa vier Stunden als Equasym®, Medikinet®, Methylphenidat Hexal® und Ritalin® erhältlich.

Das sind typische ADHS-Symptome bei Erwachsenen

  • Aufmerksamkeitsstörung Unvermögen, Gesprächen zu folgen, erhöhte Ablenkbarkeit, mangelndes Konzentrationsvermögen, Vergeßlichkeit, Verlegen von Gegenständen
  • Motorische Hyperaktivität Innere Unruhe, Unfähigkeit, still zu sitzen oder sitzende Tätigkeiten auszuführen
  • Affektlabilität Wechsel zwischen normaler und niedergeschlagener Stimmung und leichter Erregung
  • Desorganisiertes Verhalten Unzureichende Planung und Organisation von Aktivitäten, planloser Wechsel von einer Tätigkeit zur nächsten, Unfähigkeit, Zeitpläne und Termine einzuhalten
  • Mangelhafte Affektkontrolle Andauernde Reizbarkeit, verminderte Frustrationstoleranz, Wutausbrüche
  • Impulsivität Unterbrechen anderer im Gespräch, Dazwischenreden, Ungeduld, impulsiv ablaufende Einkäufe
  • Emotionale Überreagibilität Unfähigkeit, mit alltäglichem Streß umzugehen

Innere Unruhe und Herumzappeln, mangelnde Konzentrationsfähigkeit oder auch Wutausbrüche können Symptome einer ADHS sein.

Zudem wird es in zwei Retardformen (Concerta®, Medikinet retard®) mit einer Wirkdauer zwischen etwa sechs bis acht und zwölf Stunden angeboten. Retardpräparate haben im Vergleich zu unretardiertem MPH den Vorteil, daß der Wirkstoff im Tagesverlauf gleichmäßig freigesetzt wird. Aufgrund des einfacheren Handlings können sie sich zudem günstig auf die Compliance auswirken.

Ein empirisch gut abgesicherter Wirksamkeitsnachweis liegt auch für Amphetamine durch mehrere doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien vor. In den USA ist ein Racemat verschiedener Amphetaminsalze (Adderall XR®) zur Therapie von Erwachsenen mit ADHS zugelassen. In Deutschland ist kein Amphetamin-Fertigpräparat für diese Indikation erhältlich.

Daher müssen Apotheken aus einem racemischen Rohgemisch aus D- und L-Amphetaminsulfat Amphetaminsaft oder -kapseln selbst herstellen. Üblicherweise werden Amphetamine nicht als Medikation der ersten Wahl eingesetzt. Sie sind nach klinischen Erfahrungen eine gute Alternative, wenn MPH nicht ausreichend wirksam ist.

Der hochselektive Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer Atomoxetin (Strattera®) ist in den USA und einigen anderen Ländern auch für Erwachsene mit ADHS zugelassen. Anfang dieses Jahres hat das Medikament in Deutschland die Zulassung zur Therapie von Kindern mit ADHS erhalten. Eine bei Kindern und Jugendlichen begonnene Atomoxetin-Therapie kann im Erwachsenenalter fortgeführt werden - in diesen Fällen gilt die Zulassung als weiterhin gegeben.

Die Wirksamkeit von Atomoxetin bei Erwachsenen mit ADHS wurde in mehreren Placebo-kontrollierten Studien nachgewiesen. Bei einer mittleren Tagesdosis von 100 mg einmal täglich wiesen 67 Prozent der Patienten eine klinisch signifikante Symptomreduktion auf.

Atomoxetin fällt im Gegensatz zu den Psychostimulantien nicht unter das Betäubungsmittelgesetz und muß daher nicht auf gesonderten Rezepten verordnet werden.

Eine deutliche und klinisch relevante Reduktion der ADHS-Kernsymptomatik ist in Untersuchungen mit kleineren Patientenkollektiven auch für Desipramin (Petylyl®), Bupropion (Zyban®), Pemolin (Tradon®) und Modafinil (Vigil®) beschrieben worden. Jedoch sollte Pemolin aufgrund der Gefahr von bei Kindern verursachten Leberschädigungen, die bei einigen Patienten tödlich verlaufen sind, nur nachrangig und unter engmaschigen Kontrollen der Leberwerte eingesetzt werden.

Für ADHS-Patienten, die auf die medikamentöse Behandlung gut ansprechen, wird empfohlen, diese kontinuierlich über 24 Monate fortzuführen. Danach sollte durch kurze Therapiepausen von etwa zwei Wochen die weitere Behandlungsnotwendigkeit überprüft werden. Nach eigenen Erfahrungen tritt bei den meisten Patienten die Symptomatik in unverminderter Stärke jedoch wieder auf.

Dr. Esther Sobanski, Dr. Barbara Alm, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit J 5, 68159 Mannheim, Tel.: 0621 / 1703-2852, Fax: 1703-1205, E-Mail: esther.sobanski@zi-mannheim.de

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