Folgen der Lockdowns

Corona-Pandemie hat Mediensucht bei Kindern deutlich verstärkt

Gamen, posten, liken: Die Sucht nach digitalen Medien ist bei jungen Menschen in der Corona-Zeit gestiegen. Kinderärzte befürchten langwierige Folgen – und so bald keine komplette Rückkehr zur „alten“ Normalität.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Die Mediennutzungszeit ist während der Pandemie deutlich gestiegen.

Schon Sucht oder noch alles im grünen Bereich? Die Mediennutzungszeit ist während der Pandemie deutlich gestiegen. Pädiater sehen ein „erhebliches Gefährdungspotenzial.

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Berlin/Hamburg. Laut einer Studie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) nutzen mittlerweile mehr als vier Prozent aller 10- bis 17-Jährigen in Deutschland Computerspiele „krankhaft“. Hochgerechnet seien rund 220.000 Jungen und Mädchen betroffen, was im Vergleich zu 2019 einen Anstieg um 50 Prozent bedeute, teilte die Kasse am Donnerstag mit.

Das Forsa-Institut fragte für die Studie in 1200 Familien mehrfach die digitale Mediennutzung von Kindern, Jugendlichen und Eltern ab: im September 2019, im April und im November 2020 sowie im Mai 2021. Während Jugendliche 2019 an einem Wochentag 83 Minuten mit Games verbrachten, waren es im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 ganze 132 Minuten am Tag – der Höchstwert der gesamten Pandemiezeit.

Jungen häufiger betroffen

Laut Studie ist der Anstieg der Mediensucht eng mit längeren Nutzungszeiten verknüpft. Beim Gaming beträgt die durchschnittliche Spielzeit an einem Werktag knapp zwei Stunden – 31 Prozent mehr als vor Corona. Während vor der Pandemie 2,7 Prozent der Befragten pathologisches Spielverhalten an den Tag legten, sind es inzwischen 4,1 Prozent. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.

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Den Angaben zufolge hat auch die Sucht im Bereich von „Social Media“ zugenommen. Hier wuchs der Anteil pathologischer Nutzer seit dem Jahr 2019 von 3,2 auf 4,6 Prozent. Das sei ein Anstieg von knapp 44 Prozent und entspreche knapp 250 .000 Betroffenen, so die Kasse. Jungen zeigten mit gut drei Prozent doppelt so oft abhängiges Verhalten wie Mädchen . Aktuell verbringen junge Menschen an den Wochentagen knapp 140 Minuten mit Instagram, WhatsApp & Co – 2019 waren es noch 116 Minuten.

„Gerade für junge Menschen mit bereits davor riskanter Mediennutzung waren die Lockdowns ein erheblicher gesundheitlicher Gefährdungsfaktor, der den Übergang in eine pathologische Mediennutzung quasi katalysiert hat“, sagte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach. Das Phänomen lasse sich wohl auch nach dem Ende der Pandemie nicht „vollständig rückabwickeln“, zumal Eltern ihren Einfluss über klare Medienregeln in Corona-Zeiten nicht wirklich angepasst hätten. Das Problem dysfunktionaler Mediennutzung ziehe sich durch alle Schichten. Richtige Mediennutzung sei harte Erziehungsarbeit, betonte Fischbach.

Laut Studie geben 73 Prozent der Kinder an, mit Social Media und Gaming Kontakte aufrechtzuerhalten. 71 Prozent sehen darin ein Mittel, Langeweile zu bekämpfen. Ein Drittel gibt an, damit Stress abzubauen.

Der Studienleiter und Ärztliche Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters am UKE, Professor Rainer Thomasius, sagte, exzessive Mediennutzung führe oft zu Kontrollverlust mit schweren Folgen. Da persönliche, familiäre und schulische Ziele zurückträten, würden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst. Die Folge sei „Stillstand in der psychosozialen Reifung“.

Storm: Kindergesundheit auf die Agenda!

DAK-Vorstandschef Andreas Storm rief die Verhandler für eine „Ampel“-Koalition auf, das Thema der Kinder- und Jugendgesundheit auf die Agenda zu setzen. Denkbar wäre etwa die Einrichtung einer Enquete-Kommission. Diese habe Folgen der Pandemie für junge Menschen zu untersuchen.

Wichtig seien auch mehr Aufklärung und Vorsorge, etwa in Form eines Mediensucht-Screenings. Die DAK biete bereits gemeinsam mit dem BVKJ in fünf Bundesländern eine solche Früherkennung ergänzend zur J1 und J2 an. 1200 Kinder- und Jugendärzte machten im Rahmen des Selektivertrags mit, so Storm.

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