Organspende

Die kontroverse Debatte um die Widersprüche der Widerspruchslösung

Sie wollen leben und warten oft vergeblich auf ein Spenderorgan. Haben diese schwerstkranken Menschen bessere Chancen, wenn die Widerspruchslösung bei der Organspende eingeführt wird? Eine heftige Debatte ist entbrannt.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Spenderniere. Die Debatte um Organspenden ist so heftig wie nie.

Spenderniere. Die Debatte um Organspenden ist so heftig wie nie.

© JOKER / dpa

Neue Besen kehren bekanntlich gut – und manchmal auch in eine andere Richtung als gedacht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Debatte um die bislang politisch mehrheitlich abgelehnte Widerspruchslösung bei der Organspende neu eröffnet und dabei seinen ursprünglichen Standpunkt korrigiert. Der Hintergrund ist dramatisch: 10 000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan, viele, die auf der Warteliste stehen, sterben. Mehr als ein Jahr warten die Patienten im Schnitt auf eine Transplantation, darunter auch Kinder. Und: Die Qualität der Organe wird immer schlechter.

Doch Spahn will nicht nur einen Paradigmenwechsel, er will das Prozedere der Organgewinnung neu organisieren und sicher finanzieren. Ende August hat er dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt.

Das sind die Kernpunkte im Gesetzentwurf:

  • Freistellung des Transplantationsbeauftragten in Kliniken und Stärkung seiner Befugnisse, zum Beispiel uneingeschränktes Zugangsrecht auf Intensivstationen und Einsichtsrecht in Patientenakten zur Prüfung des Spenderpotenzials;
  • Kostendeckende Vergütung für den gesamten Prozessablauf; Pauschalen für intensivmedizinische Leistungen bei der Organentnahme, die von der GKV, Deutscher Krankenhausgesellschaft und Bundesärztekammer festgelegt werden,
  • Einrichtung neurologischer konsiliarärztlicher Bereitschaftsdienste für kleinere Krankenhäuser,
  • Flächendeckendes Berichtssystem zur Qualitätssicherung bei der Spendererkennung und -meldung; die Kliniken werden verpflichtet, anonymisierte Daten an die Koordinierungsstelle zu übermitteln, die eine Analyse aller Todesfälle mit primärer und sekundärer Hirnschädigung ermöglicht.

"Medizinische Community ist nicht in Ordnung"

Damit könnte eine Entwicklung umgekehrt werden, die der Ärztliche Direktor der Charité Professor Ulrich Frei bei einer Diskussionsveranstaltung des Marburger Bundes und des "Tagesspiegel" in Berlin als eine "Verkümmerung der Pflicht, nach Organspendern zu suchen" bezeichnete. Sogar unter Unikliniken mit einem Transplantationszentrum gebe es solche, die keinen Organspender identifizieren – andere wiederum kommen auf bis zu 20. "Die medizinische Community ist gar nicht in Ordnung", beklagt Frei. Die Auswirkungen auf die Qualität der Transplantationsmedizin sind erheblich.

"Wir akzeptieren inzwischen grenzwertige Organe, das Alter der Spender ist in den letzten zehn Jahren um durchschnittlich zehn Jahre gestiegen, viele junge Patienten erhalten heute Organe von alten Menschen", sagt Professor Volkmar Falk, Direktor des Deutschen Herzzentrums in Berlin. Derzeit stünden fünf Kinder auf der Warteliste. Kinder stehen grundsätzlich auf der höchsten Dringlichkeitsstufe, früher war eine Transplantation meist innerhalb weniger Tage möglich, inzwischen warten aber auch sie bis zu einem Jahr auf die Op.

Unter den Erwachsenen gelangen inzwischen 80 Prozent nach dem Kriterium der Dringlichkeit zu einem Spenderorgan. Frei begrüßt ausdrücklich die Gesetzesinitiative von Spahn und den damit eingeleiteten möglichen Umdenkprozess als Chance: "Dieser Prozess muss zu Ende gedacht werden, der Nagel muss eingeschlagen werden."

Nichts geht ohne eine öffentliche Diskussion

Sein Kollege Jonitz geht da noch einen Schritt weiter. Er hält die Bereitschaft zur Organspende für ein ethisches Gebot. Zu bedenken sei, dass Deutschland Organe aus Ländern importiere, in denen die Widerspruchslösung gilt. Man müsse offen darüber diskutieren, warum in 22 europäischen Ländern – alle übrigens mit einem christlichen Kulturhintergrund – das Organspendewesen funktioniert – nur in Deutschland nicht.

Gerade die Zustimmungslösung bringe Ärzte, vor allem aber die Angehörigen todgeweihter Patienten in eine doppelt dramatische Lage: erst werden sie mit dem bevorstehenden Tod ihres Familienangehörigen, möglicherweise des Sohns oder der Tochter konfrontiert – und werden dann in eine Entscheidungssituation gedrängt, die einen Einfluss auf die Lebenschancen eines anderen, fremden Menschen hat. Jonitz: "Die Widerspruchslösung erlöst die Angehörigen von diesem Entscheidungszwang und entlastet die Ärzte, die auch nicht immer heroisch sind."

Aber eines liegt auch auf der Hand: Würde die Widerspruchslösung eingeführt, entstünde damit auch ein Zwang, sich dann zu offenbaren, wenn man nicht als Organspender zur Verfügung stehen will. "Wir dürfen den Menschen nicht zu viel zumuten", glaubt Catherina Pieroth, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

Allerdings: Unter dem geltenden Paradigma entscheiden Menschen auch – durch Nichtbekunden der Zustimmung und damit gegen die Organspende. Die Frage ist, ob ein Bekenntnis in einer sich human definierenden Gesellschaft als zumutbar gilt – und ob die offene Entscheidung gegen eine Organspende eine moralisch negative Bewertung erfährt.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 2: TriMaximize-Studie: Verbesserung der Lebensqualität nach Umstellung auf extrafeine Dreifachfixkombination

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [8]

Mittelgradiges bis schweres Asthma bronchiale

Bessere Kontrolle und Lebensqualität unter inhalativer Triple-Therapie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Chiesi GmbH, Hamburg
Porträts: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Portraits: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Die Schilddrüse tickt in jedem Lebensalter anders

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
Abb. 1: Studie DECLARE-TIMI 58: primärer Endpunkt „kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ in der Gesamtkohorte

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [4]

Diabetes mellitus Typ 2

Diabetes mellitus Typ 2 Präventiv statt reaktiv: Bei Typ-2-Diabetes mit Risikokonstellation Folgeerkrankungen verhindern

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Weizen und Gluten entstigmatisieren

Reizdarmsyndrom: Ist die Glutensensitivität ein Nocebo-Phänomen?

Lesetipps
Mit einem PSA-basierten Screening sollen Prostatakarzinome früh erkannt werden

© Peakstock / stock.adobe.com

Früherkennung

PSA-basiertes Prostatakrebs-Screening: Langzeitdaten belegen Nutzen