Bundesverfassungsgericht

Ein Blindenhund darf mit ins Wartezimmer

Ärzte müssen einen Blindenhund in ihrer Praxis dulden – anderenfalls wären Blinde unzulässig benachteiligt, urteilt das Bundesverfassungsgericht.

Veröffentlicht:
Ein generelles Hundeverbot sei in einer Arztpraxis nicht diskriminierend, fand ein Kammergericht. Das Bundesverfassungsgericht war anderer Auffassung.

Ein generelles Hundeverbot sei in einer Arztpraxis nicht diskriminierend, fand ein Kammergericht. Das Bundesverfassungsgericht war anderer Auffassung.

© hedgehog94 / stock.adobe.com

Karlsruhe. Eine blinde Frau in Berlin darf mit ihrer Blindenführhündin das Wartezimmer einer Arztpraxis durchqueren, weil sie nur so selbstständig in eine benachbarte Physiotherapiepraxis gelangen kann.

Ein von den Ärzten ausgesprochenes Verbot „ist unverhältnismäßig und benachteiligt sie in verfassungswidriger Weise“, heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.

Die blinde Frau war in physiotherapeutischer Behandlung. Die Praxis konnte sie entweder durch den Hof über eine Stahlgittertreppe erreichen, oder durch einen Ausgang am Ende des Wartezimmers einer orthopädischen Arztpraxis im selben Haus. Beide Wege waren ausgeschildert.

Vorinstanz bestätigte Hundeverbot

Mit ihrer Führhündin war sie schon wiederholt durch die Praxis und das Wartezimmer gegangen. Eines Tages verboten dies aber die Ärzte. Die Mitnahme von Hunden in die Praxis sei generell nicht erlaubt.

Ihre hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Kammergericht Berlin meinte, ein generelles Hundeverbot sei in einer Arztpraxis nicht diskriminierend. Die Frau könne ihren Blindenhund vor der Praxis anbinden und sich dann von Menschen helfen lassen.

Jedenfalls eine „mittelbare“, also indirekte Diskriminierung liegt aber doch vor, entschied nun das Bundesverfassungsgericht. Das 1994 im Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot behinderter Menschen sei nicht nur ein Grundrecht, sondern zugleich eine „objektive Wertentscheidung“, die ein bestimmtes Menschenbild vermittle. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention betone die Autonomie von Menschen mit Behinderung.

„Überholte Bevormundung“

„Offenkundig“ verkenne das Kammergericht, dass das Benachteiligungsverbot „Menschen mit Behinderungen ermöglichen soll, so weit wie möglich ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen“ heißt es in dem Karlsruher Beschluss.

Das Gericht erwarte von der blinden Frau, dass sie sich von wenig bekannten oder gar fremden Personen abhängig macht, anfassen und führen lässt. „Dies kommt einer – überholten – Bevormundung gleich, weil es voraussetzt, dass sie die Kontrolle über ihre persönliche Sphäre (zeitweise) aufgibt.“ Ausreichend rechtfertigende Gründe hierfür gebe es nicht.

„Aus hygienischer Sicht keine Einwände“

Auch einen Hinweis der Ärzte auf die Hygiene ließen die Verfassungsrichter nicht gelten. „Sowohl das Robert Koch-Institut als auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft gehen davon aus, dass aus hygienischer Sicht in der Regel keine Einwände gegen die Mitnahme von Blindenführhunden in Praxen und Krankenhausräume bestehen.“

Bedenken gegen diese Einschätzung hätten die Ärzte nicht vorgebracht. Auch der Einwand, der Praxis könne ein „Makel“ unzureichender Hygiene anhaften, gehe fehl. Für die Patienten im Wartezimmer sei es sofort erkennbar, dass die Frau den Raum nur durchquert und hierfür auf den Hund angewiesen ist. (mwo)

Bundesverfassungsgericht: Az.: 2 BvR 1005/18

Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Tag der Privatmedizin 2023

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren