Hintergrund

Hohes Herzinfarkt-Risiko bedeutet große Überlebenschance

Es klingt paradox: Wenn jemand raucht, dick ist, Hypertonie hat und zu viel Cholesterin im Blut schwimmt, dann sind seine Aussichten, einen Herzinfarkt zu überleben, besonders gut. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Menschen mit vielen KHK-Risikofaktoren erkranken oft jung.

Menschen mit vielen KHK-Risikofaktoren erkranken oft jung.

© chubykin / fotolia.com

Das überraschende Ergebnis einer großen Analyse ist sicher kein Freibrief für einen sorglosen Umgang mit dem Herzen, denn noch immer gilt: Je mehr Risikofaktoren für einen Herzinfarkt jemand aufzählen kann, umso eher muss er mit einem solchen Ereignis rechnen und umso größer ist auch die Gefahr, dass er irgendwann an den Folgen eines Gefäßverschlusses stirbt.

Betrachtet man jedoch das einzelne Ereignis, so haben die Patienten mit den meisten Risikofaktoren offenbar die besten Überlebenschancen, berichten Ärzte um Dr. John G. Canto aus Lakeland in Florida (JAMA 2011; 306(19): 2120-2127).

Mehr als 500.000 Daten ausgewertet

Das Team um Canto hatte Krankenhausdaten von über 542.000 Patienten aus unterschiedlichen US-Kliniken ausgewertet. Alle Patienten hatten erstmals einen Herzinfarkt; eine Herzerkrankung war vor dem Ereignis nicht bekannt gewesen.

Bei diesen Patienten schauten die Ärzte nun nach den fünf Hauptrisikofaktoren für Herzinfarkt und KHK, also Rauchen, Hypertonie, Dyslipidämie, Diabetes oder Herzinfarkte in der Familie. Wie erwartet hatten die meisten Patienten (86 Prozent) solche Risikofaktoren, nur 14 Prozent hatten keine.

Ausgerechnet bei diesen Patienten war die Mortalität aber am höchsten: 15 Prozent starben noch in der Klinik am Infarkt. Deutlich weniger, nämlich 11 Prozent, waren es bei einem Risikofaktor, 8 Prozent bei zwei, 5,3 Prozent bei drei und 4,2 Prozent bei vier Risikofaktoren. Und von denjenigen mit dem höchsten Risiko starben sogar nur bei 3,6 Prozent.

Alter allein reicht nicht als Erklärung

Ein großer Teil des Unterschieds ließ sich durch das Alter erklären: Die Patienten ohne Risikofaktoren erwischte es im Schnitt mit 72 Jahren, die mit fünf Faktoren mussten bereits mit 57 Jahren in die Klinik - sie waren daher meist noch in besserer körperlicher Verfassung.

Doch selbst wenn man einzelne Altersgruppen betrachtete, also etwa die unter 45 Jahren oder die zwischen 46 und 55, zeigte sich überall das gleiche Muster: Je mehr Risikofaktoren, desto geringer die Sterberate.

Unter Berücksichtigung des Alters war die Mortalität bei zuvor Kerngesunden etwa 50 Prozent höher als bei Hochrisikopatienten mit allen fünf Faktoren.

Dafür eine Erklärung zu finden ist nicht einfach. Sozioökonomische Ursachen kommen kaum infrage - die gesündesten Patienten waren auch am ehesten krankenversichert.

Daraus lässt sich indirekt schließen, dass sie einen guten Zugang zur medizinischen Versorgung hatten und wohl überproportional gebildet waren, was in der Regel dazu führt, dass sich solche Personen mehr um ihre Gesundheit kümmern - es wäre bei ihnen also eher eine niedrigere, nicht einer höhere Sterberate zu erwarten gewesen.

Intensivere Therapie bei vielen Risikofaktoren?

Plausibler ist da schon die Erklärung, dass Patienten mit vielen Risikofaktoren von den Ärzten in der Klinik bei einem Infarkt aggressiver behandelt werden. Dafür fanden Canto und seine Mitarbeiter zumindest einige Hinweise.

So wurde bei Hochrisikopatienten häufiger invasiv behandelt, auch die medikamentöse Versorgung in der Klinik war bei ihnen deutlich besser, und dies könne durchaus zur günstigeren Prognose beigetragen haben, schreiben sie.

Auch hatten die Patienten mit bekannten Risikofaktoren vor dem Infarkt schon jede Menge kardiovaskuläre Arzneien bekommen, was möglicherweise half, den Schaden beim Infarkt zu limitieren.

Schließlich kommt noch eine physiologische Erklärung in Betracht: Wer riskant lebt, trainiert sein Herz schon mal für den Ernstfall.

So berichtete Professor Stefan Engelhardt von der TU München in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", dass Herzen, die aufgrund der Risikofaktoren und der Atherosklerose Ischämien ausgesetzt sind, vermehrt Kollateralen bilden.

Diese Gefäße könnten dann die Blutversorgung notdürftig sichern, wenn ein Hauptgefäß verstopft ist. Solche Kollateralen fehlten möglicherweise den Gesunden, bei ihnen hätte der Verschluss dann im Vergleich gravierendere Folgen.

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