Test-and-Trace-System

Britisches COVID-19-Früherkennungssystem erweist sich als Desaster

Mit großem Aufwand hat die britische Regierung ein System für die Nachverfolgung und Testung von potenziell COVID-Infizierten etabliert. Hausärzte haben dabei haarsträubende Erfahrungen gemacht.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Eine COVID-Warn-App des National Health Service (NHS) weist den Nutzer an, sich in Isolation zu begeben. Bei der Nachverfolgung von potenziell Infizierten hat es in Großbritannien viele Pannen gegeben.

Eine COVID-Warn-App des National Health Service (NHS) weist den Nutzer an, sich in Isolation zu begeben. Bei der Nachverfolgung von potenziell Infizierten hat es in Großbritannien viele Pannen gegeben.

© Steve Parsons/PA Wire/dpa

London. Das britische Früherkennungssystem für COVID-19-Infektionen erweist sich als Desaster und Milliardengrab. Wie aus vertraulichen Unterlagen des Londoner Gesundheitsministeriums hervorgeht, kostete die Einrichtung des Test-and-Trace-Systems bislang rund 15 Milliarden Euro. Doch der Erfolg der Kontaktnachverfolgung hält sich bisher in Grenzen.

Britische Ärzte kritisieren das im Frühsommer gestartete System als „ungeeignet“. Ziel war und ist es laut Gesundheitsminister Matt Hancock, „mindestens 80 Prozent“ der Kontakte eines Infizierten identifizieren und kontaktieren zu können. Dieses Ziel wird seit Monaten weit verfehlt: Zuletzt schaffte es Test-and-Trace gerade auf knapp 60 Prozent.

Einzige Qualifikation: Bedienung eines Telefons

Hinzukommt, dass es von Anfang an an geeignetem Personal fehlte und fehlt, um Kontakte zeitnah nachverfolgen zu können. Die britische Zeitung „Guardian“ berichtete unter Berufung auf einen Whistleblower innerhalb des Systems, dass hunderte Teenager ohne Vorkenntnisse rekrutiert wurden, um Kontakte von infizierten Patienten nachzuverfolgen.

Laut Bericht sind viele Telefonarbeiter zwischen 18 und 20 Jahre alt, haben keine relevanten Qualifikationen oder Vorkenntnisse und erhalten den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von umgerechnet rund neun Euro pro Stunde. „Die einzige Qualifikation, die man mitbringen muss, ist, dass man ein Telefon bedienen kann“, sagte ein Insider dem „Guardian“.

Viele britische Hausärzte berichten von haarsträubenden Erfahrungen: So wird von Patienten berichtet, die von Test-and-Trace-Mitarbeitern zum COVID-Test in ein rund 700 Kilometer entferntes Testzentrum des NHS geschickt wurden. Oder Hausärzte und Praxisangestellte, die eine Woche lang in häuslicher Quarantäne ihrer Arbeit fern bleiben mussten, weil es an Testkapazitäten selbst für NHS-Mitarbeiter fehlt. Gleichzeitig verdienen private Unternehmen, die das desaströse System mit aufgebaut haben, viel Geld.

Angestrebte Testkapazität wurde nicht erreicht

Immer wieder hatte Premierminister Boris Johnson in den vergangenen Wochen ehrgeizige Ziele ausgegeben, wie viele Patienten im Königreich pro Woche auf COVID-19 getestet werden sollen. Von bis zu einer halben Million Patienten pro Tag war die Rede.

Diese Ziele wurden stets weit verfehlt. Gleichzeitig sind Berichten zu Folge mehr als drei Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in dem pannengeplagten System verschwunden, ohne dass die Regierung nachweisen kann, was damit konkret geschehen ist.

Der britische Ärztebund (British Medical Association, BMA) hat mehrfach personelle Konsequenzen gefordert. Die Kritik an Gesundheitsminister Matt Hancock wird immer lauter. Die Zahl der an oder mit dem Virus gestorbenen Patienten nähert sich unterdessen der Marke von 50.000-Patienten.

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