Psychologie

Bipolaren Störungen auf der Spur

Nur eine Stimmungsschwankung oder doch eine ernst zu nehmende Erkrankung? Eine Psychologieprofessorin gibt Tipps, wie Ärzte bipolare Störungen erkennen - auch aus der Perspektive einer betroffenen Patientin.

Kerstin MitternachtVon Kerstin Mitternacht Veröffentlicht:
Eine depressive Phase lieber mit sich alleine ausmachen: Noch immer herrscht bei vielen Menschen mit bipolaren Störungen die Angst vor, für ihre Erkrankung stigmatisiert zu werden.

Eine depressive Phase lieber mit sich alleine ausmachen: Noch immer herrscht bei vielen Menschen mit bipolaren Störungen die Angst vor, für ihre Erkrankung stigmatisiert zu werden.

© Artem Furman/Fotolia.com

NEU-ISENBURG. Etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland sollen an einer bipolaren Störung leiden. Erste Anlaufstelle für sie ist meist die Hausarztpraxis. Doch bis die richtige Diagnose steht, kann es ein steiniger Weg sein. Die Betroffenen merken zwar, dass etwas mit ihnen nicht stimmt und suchen durchaus Hilfe.

Gleichzeitig versuchen sie aber, ihre Erkrankung zu verbergen. Oder sie herunterzuspielen, weil sie nicht als psychisch krank gelten wollen. "Manisch-depressive Patienten sind gut darin, ihre Gefühle und ihre Krankheit zu verbergen oder alternative Erklärungen für ihren Zusammenbruch zu finden", sagt Dr. Kay Redfield Jamison, Professorin für affektive Störungen und Psychiatrie an der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore.

Schlaflosigkeit ernst nehmen

Jamison arbeitet und forscht nicht nur als Medizinerin in diesem Bereich, sondern leidet selbst seit über 30 Jahren an einer manisch-depressiven Störung. Sie weiß, welche auf den ersten Blick unscheinbaren Symptome Ärzte aufhorchen lassen sollten. Und wie wichtig es ist, die Familiengeschichte zu kennen und in die Anamnese einzubeziehen.

"Gab es bereits bipolare Störungen, Depressionen, Suizidversuche oder Fälle von Alkoholabhängigkeit in der Familie?" Solche Fragen sollte der betreuende Arzt zuerst beantworten. "Aber auch Schlaflosigkeit, Unruhe oder Stimmungsschwankungen können erste Anzeichen sein."

Hilfreich ist laut Jamison zudem, die Familienmitglieder direkt einzubeziehen - denn sie hätten oft eine objektive Sicht auf das Trinkverhalten, Reizbarkeit, erhöhte Ausgaben oder verändertes Schlafverhalten. Allerdings ist es nicht immer einfach, an solche Informationen zu kommen. Es gilt die ärztliche Schweigepflicht, das heißt, der Arzt muss den Patienten vorher fragen, ob er mit Familienmitgliedern sprechen darf.

Dabei ist es laut der amerikanischen Psychologieprofessorin wichtig, dass der Arzt die Familienmitglieder oder gute Freunde von Beginn an mit in die Behandlung einbezieht und sie über die Erkrankung aufklärt.

Jamison hat ihre eigenen Erfahrungen in ein persönliches Buch gepackt, das die Krankheit und ihre Symptome sehr detailliert beschreibt - aus der Sicht einer Betroffenen und der einer Medizinerin. Nach jedem Anfall der hemmungslosen Manie schien das Leben sie zu bedrohen. Die Krankheit trieb sie mal in den ruinösen Kaufrausch, mal in gewalttätige Phasen und schließlich in einen Selbstmordversuch.

Jamison berichtet aber auch sehr offen darüber, dass psychische Erkrankungen immer noch Ängste und Vorurteile bei vielen Menschen hervorrufen. Weil sie zu wenig über die Erkrankung und die Therapiemöglichkeiten wissen. "Deshalb ist es wichtig zu erklären, dass bipolare Störungen behandelbar sind", sagt sie.

"Das ist die wichtigste Tatsache. Bei mir selbst wirkt Lithium." Für viele Patienten sei die Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten die richtige Behandlungsmethode.

Bei vielen Betroffenen herrsche außerdem eine große Angst vor Nachteilen im privaten oder beruflichen Leben, wenn sie die Krankheit publik machen. Sie wollen nicht stigmatisiert werden. Auch dies liege meist an mangelnder Information - aber leider auch an einer unzureichenden ärztlichen Beratung, so Jamison.

Angst vor Nebenwirkungen

Eine größere Gefahr, als berufliche Nachteile durch das Bekanntwerden der Erkrankung zu erfahren, sei laut Jamison, dass Betroffene zu zögerlich einen Arzt aufsuchen und eine Behandlung erst spät beginnen.

Wichtig sei jedoch, die Krankheit zu behandeln, da sie behandelbar ist. "Ich bin das beste Beispiel dafür, dass man manisch-depressiv sein kann und erfolgreich im Job."

Ein weiteres Problem bei Patienten mit bipolaren Störungen ist, dass sie ihre Medikamente nicht einnehmen, etwa aus Angst vor Nebenwirkungen oder davor, dass die Medikamente nicht helfen könnten, wie Jamison in ihrem Buch schreibt.

Aber bei vielen spielt auch hier die Weigerung eine Rolle, den eigenen Zustand wirklich als Krankheit zu begreifen und anzuerkennen. "Dies ist eine sehr verbreitete Reaktion, die - gegen eigenes intuitives Wissen - den ersten Episoden manisch-depressiver Störungen folgt.

Die Stimmungen sind ein derart wichtiger Teil der Lebenssubstanz, des Selbstverständnisses, dass selbst psychotische Extreme in Stimmung und Verhalten irgendwie noch als vorübergehend, ja sogar verständliche Reaktionen auf das, was das Leben einem antut, betrachtet werden können", schreibt sie weiter.

"Meine ruhelose Seele - Die Geschichte einer bipolaren Störung" von Kay Redfield Jamison, erschienen im mvgverlag, München 2014, ISBN 978-3-86882-504-6

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