Morbidität

Was 100-Jährige von anderen unterscheidet

100-Jährige sind oft weniger krank als die Jüngeren. Worauf es ankommt, haben Forscher anhand von Daten von AOK-Versicherten herausgefunden.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Wichtigster Risikofaktor für den Tod ist bei Hochbetagten eine Pneumonie.

Wichtigster Risikofaktor für den Tod ist bei Hochbetagten eine Pneumonie.

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BONN. Auch Menschen, die extrem alt werden, sind mit steigendem Alter zunehmend von chronischen Erkrankungen betroffen. Dieser Prozess findet nur später und langsamer statt als bei Menschen mit kürzerer Lebensspanne.

Die Chance, den 100. Geburtstag begehen zu können, scheint vor allem davon abzuhängen, dass keine Demenz und keine chronischen Herzerkrankungen auftreten.

Darauf deuten Daten von AOK-Versicherten hin, die Gabriele Doblhammer und Alexander Barth von der Universität Rostock ausgewertet haben (J Am Ger Soc 2018, online 2. Juli).

In die prospektive Analyse wurden zwei große Geburtskohorten einbezogen, eine mit 95- bis 100-Jährigen (n = 2865) und eine mit 85- bis 90-Jährigen (n = 17.013).

Die häufigsten Erkrankungen im Alter über 95 entfielen auf die Kategorien "andere chronische Herzerkrankungen" (Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz, rheumatische Herzerkrankungen) (58,9%), Demenz (47,1%), chronische ischämische Herzerkrankungen (47,1%) sowie zerebrovaskuläre Erkrankungen (44,3%).

Bei den akuten Erkrankungen waren Pneumonien (6,1%) und akute ischämische Herzerkrankungen (2,5%) führend und zugleich häufige Todesursachen.

Bei den jüngeren Alten belegten "andere chronische" (50,3%) und chronische ischämische Herzerkrankungen (49,2%), Diabetes (39,3%) und zerebrovaskuläre Erkrankungen (38,9%) die Plätze 1 bis 4; an einer Demenz litten 31,7%.

Verlauf verläuft früher steiler

Auch wenn die altersspezifische Krankheitsprävalenz nach dem Sterbealter getrennt betrachtet wurde, ergab sich weiterhin eine Zunahme mit steigendem Alter. Der Anstieg verlief zwischen 85 und 90 jedoch steiler als zwischen 95 und 100.

In beiden Gruppen fielen diejenigen, die das höchste Alter erreichten, dadurch auf, dass bei ihnen in jedem Lebensalter die Prävalenz fast aller Krankheiten niedriger war als bei denen, die früher starben.

Besonders deutlich sichtbar war dieser Vorteil der ältesten Alten bei der Demenz: Die 100-Jährigen waren im Alter von 95 zu 28% von Demenz betroffen gewesen, Menschen, die mit 95 starben, aber zu 55%. Entsprechende Differenzen waren auch bei den 85- bis 90-Jährigen festzustellen. Ein ähnliches Bild ergab sich für "andere chronische Herzerkrankungen".

Ausnahmen bei bestimmten Indikationen

Bei Krankheiten, die die Lebensqualität unmittelbar beeinflussen, ergaben sich andere Verläufe: Die Prävalenz von Depressionen korrelierte nicht mit dem Überleben; Taubheit und Blindheit kamen bei denen, die länger überlebten, sogar in jedem Lebensalter häufiger vor.

Akute Erkrankungen wie akute ischämische Herzerkrankungen, Pneumonie, Lungenembolie oder Urosepsis waren insgesamt selten, im Todesjahr nahm ihre Häufigkeit jedoch drastisch zu.

In einer multivariaten Analyse erwies sich Demenz bei den extrem Alten als chronische Krankheit mit dem höchsten Risiko, den 100. Geburtstag nicht mehr zu erleben; gegenüber Gleichaltrigen ohne Demenz lag es um 63% höher.

Die Wahrscheinlichkeit, früher zu sterben, war auch dann stark erhöht, wenn eine "andere chronische Herzerkrankung" (+42%), ein mit dem Rauchen assoziierter Krebs (+38%) oder eine Nierenerkrankung bestanden (+33%). Bei den jüngeren Alten wirkten sich diese vier Erkrankungen sogar noch nachteiliger aus.

Wichtigster Risikofaktor für den Tod war eine Pneumonie. Sie war mit einem fast vierfachen beziehungsweise fast sechsfachen Sterberisiko verbunden. Die Befunde stehen in Einklang mit früheren Studien, wonach "sehr alte Menschen einen späteren Beginn chronischer Krankheiten haben", wie Doblhammer und Barth schreiben.

Dagegen wird die Hypothese, dass die Krankheitsprävalenz bei sehr alten Menschen stagniert oder sogar zurückgeht, durch die AOK-Daten nicht gedeckt. "Für den Rückgang der Krankheitsprävalenz im höchsten Lebensalter ist vor allem die Mortalitätsselektion verantwortlich", so die Studienautoren.

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