Versorgung Demenz-Kranker

„Demenzsensible“ Krankenhäuser sind noch die Ausnahme

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Allein im Krankenhaus. Gerade Demenz-kranke Menschen sind mit der ungewohnten Situation oft überfordert.

Allein im Krankenhaus. Gerade Demenz-kranke Menschen sind mit der ungewohnten Situation oft überfordert.

© bilderstoeckchen / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

Bonn. Im Alter müssen immer mehr Menschen in einem Krankenhaus behandelt werden. Zugleich leiden die betagten Patienten zunehmend unter demenziellen Veränderungen – auf die Akutkliniken in Deutschland nicht eingestellt sind. Eine Herausforderung für Angehörige, Pflegekräfte und Mediziner. Denn Stationen, die gezielt Demenzkranke mit Akutbeschwerden aufnehmen, sind die Ausnahme.

Täglich werden rund 50.000 Patienten mit der Nebendiagnose Demenz in deutschen Krankenhäusern behandelt, rechnet die gemeinnützige Robert-Bosch-Stiftung vor. „Ein Krankenhaus ist kein guter Ort für Menschen mit Demenz“, sagt Susanna Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Der Klinikalltag sei meist so angelegt, dass sich die Patienten an den Krankenhausrhythmus und die dort vorhandenen Strukturen anpassen müssten. Alleine vor dem Untersuchungsraum zu warten oder das Mittagessen auf einem ungewohnten Tablett irritiere altersverwirrte Menschen.

Immer wieder wird die Demenz nicht erkannt

„Es kommt vor, dass Menschen weglaufen oder durch die ungewohnte Umgebung noch verwirrter werden, als sie ohnehin schon sind.“ Zudem werde Demenz von Pflegekräften oft nicht erkannt. Patienten würden dann als „schwierig“ eingestuft und mitunter mit sedierenden Medikamenten ruhiggestellt, die wiederum eine negative Wirkung auf die Demenz hätten. Immerhin verfügten inzwischen einige Krankenhäuser über Demenzbeauftragte.

Grundsätzlich gebe es – analog zu England – inzwischen auch die Möglichkeit des „Rooming-in“, sagt Saxl. Gegen einen geringen Aufpreis können vertraute Angehörige dann während des Klinikaufenthaltes bei dem Demenz-Patienten bleiben, was diesem Sicherheit vermittelt.

Mit pflegendem Angehörigem kostenlos im Zweibett-Zimmer

Ein Vorreiter in Sachen „Rooming in“ ist das Krankenhaus Lübbecke-Rahden. Dort können sich pflegende Angehörige kostenlos mit dem Demenz-Patienten in einem Zweibett-Zimmer aufnehmen lassen. Das Projekt wird mit der Robert-Bosch-Stiftung und dem Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung wissenschaftlich begleitet und weckt inzwischen auch über Deutschland hinaus großes Interesse.

Auch die Malteser haben inzwischen Akutpatienten mit der Nebendiagnose Demenz verstärkt im Blick. Im Flensburger St. Franziskus-Hospital haben sie ein demenzsensibles Konzept entwickelt. In einer speziell für diese Patientengruppe eingerichteten „Silvia“-Station – mit freundlicher Beleuchtung und Wohnzimmeratmosphäre – stehen dort seit 2015 neun Betten bereit. Alle Mitarbeiter sind nach dem Konzept Silviahemmet („Silviaheimat“) geschult, das nach Schwedens Königin Silvia benannt ist.

Noch weiter geht das Malteser-Krankenhaus St. Carolus in Görlitz: Ende 2020 wurde es als deutschlandweit erstes Krankenhaus überhaupt von Königin Silvia persönlich zertifiziert. Mit 120 Betten sei es ein relativ kleines Krankenhaus, erklärt Sprecherin Stephanie Hänsch. Jeder der rund 250 Mitarbeitenden – von der Küche, Technik, Reinigung, Verwaltung bis Pflege und Ärzte – sei umfassend geschult, „das ganze Haus ist baulich und strukturell auf demente Menschen eingestellt“.

Allmähliches Umdenken

Eine Entwicklung, die die Deutsche Alzheimer Gesellschaft freut. Trotz großer Defizite gebe es allmählich ein Umdenken, beobachtet Saxl. Wichtig sei es, Beschäftigte in Akutkrankenhäusern für das Thema Demenz zu schulen und zu sensibilisieren. Um Demenz-Kranken den Krankenhausaufenthalt möglichst stressfrei zu gestalten, hat die Robert-Bosch-Stiftung 2019 deshalb einen 224 Seiten umfassenden Praxisleitfaden veröffentlicht.

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hat außerdem eine Broschüre für den Krankenhausaufenthalt sowie einen Informationsbogen für die Aufnahme von Demenz-Patienten ins Krankenhaus entwickelt, auf dem Angehörige unter anderem besondere Vorlieben und Abneigungen notieren können. Auch solche Bögen gebe es „längst noch nicht flächendeckend“ in Kliniken, bedauert Saxl. Sie wünscht sich zudem eine Übersicht demenzsensibler Stationen und Krankenhäuser für Angehörige. Diese sollten sich schon im Vorfeld an die regional zuständige Alzheimer Gesellschaft wenden können, um im Notfall ein passendes Krankenhaus zu kennen. „Und auch ein Pflegestützpunkt vor Ort sollte das wissen.“ (kna)

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